Predigt am 28. Januar 2024 – letzter Sonntag nach Epiphanias

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

Text: „Ein Schatz in irdenen Gefäßen“ (2. Kor 4, 6–10)


 

Liebe Gemeinde,


zwei Ereignisse kommen mir in den Sinn, wenn ich die Worte des Apostels Paulus höre: Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben!


Zuerst: 50-100.000 Hamburgerinnen und Hamburger stehen auf, ziehen friedlich und gemeinschaftlich zum Jungfernstieg und demonstrieren für unsere Freiheit, unseren Rechtsstaat und diese Demokratie. Was war das für ein großartiges Zeugnis für Vielfalt und Gerechtigkeit, und gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus Freitag vor einer Woche! Ein Lichtmoment in sich verdüsternden Zeiten. An diesem Wochenende gehen wieder 100.000 Menschen auf die Straße. Endlich regt sich ein breiter Widerstand gegen menschenverachtende Taten und Tendenzen in unserem Land.


Ich hatte letzten Freitag das Glück direkt an der Bühne zu stehen und konnte im Unterschied zu den meisten hören, was die Vertreterinnen eines breiten Bündnisses aus Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaft, Sport, Kultur, Kirchen und Religionsgemeinschaften sagten – hoffnungsstarke Bekenntnisse aus der Mitte der Gesellschaft.


Besonders beeindruckt hat mich der Vertreter des Sports, Patrick Esume, Commissioner der European League of Football. Er sagte: „Als ich angefragt wurde, (auf dieser Demonstration) zu sprechen, habe ich mich schwergetan. Ich glaube, ganz viele da draußen tun sich sehr schwer, die Courage aufzubringen und den Mund aufzumachen. Meine ultimative Motivation war: Ich habe zwei kleine Kinder. Wenn die mich in zehn Jahren fragen: 'Was hast du damals gemacht? Du hattest `ne Stimme in den Medien' - und ich sag 'gar nichts', würde ich mich zu Tode schämen. Deshalb bin ich hier und sehr stolz darauf, dass ihr hier seid“.


Ich bin sicher, er sprach vielen aus dem Herzen, Menschen wie Du und ich, die zu dieser Demonstration gekommen waren, ganze Familien, Junge und Alte, die spüren, dass in unserem Land etwas Finsteres bedrohlich wächst, was nie wieder sein darf.


Gestern, am 27. Januar war der Holocaust-Gedenktag, und ich bin froh und dankbar über diese Erinnerungskultur: Es ist ein Skandal, dass jüdische Mädchen und Jungen in unserem Land wieder Angst haben müssen, dass ältere jüdische Bürger fragen: Wo sollen wir denn hin? In welchem Land können wir denn sicher sein?  


Wir stehen auf und wehren uns gegen jede Form von Antisemitismus. Und wenn wir von allen Seiten bedrängt werden, wie Paulus schreibt, und wenn uns bange wird um unser Land, dann verzagen wir nicht, sondern stehen beherzt auf und erheben unsere Stimmen. Unsere Bischöfin Kirsten Fehrs formulierte es so: „Als Kirchen werden und dürfen wir nicht schweigen - heute nicht und morgen auch nicht, denn christlicher Glaube und völkisches Denken passen nicht zusammen - genauso wenig wie Kreuz und Hakenkreuz."


Der Vertreter der Sportvereine auf dem Podium Patrick Esume ist übrigens ein Schwarzer und insofern ganz persönlich betroffen von den menschenverachtenden Äußerungen und Plänen jenes Potsdamer Geheimtreffens von Rechtsextremisten. Er zitierte zum Schluss einen Satz von Martin Luther King, der mir seitdem nicht aus dem Sinn geht: „Es gibt keine größere Kraft als die Liebe. Sie überwindet den Hass, wie das Licht die Finsternis“.


Bei Paulus klingt das so:


„Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass die Erleuchtung entstünde zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi“. Wie ermutigend und stärkend sind diese Worte: Die Finsternis in dieser Welt und in unseren Herzen wird überwunden, weil Gottes Licht sie erhellt. Wir allein könnten das nicht schaffen. Durch ihn ist Finsternis nicht finster, sondern in ihr leuchtet sein Licht, erhellt unser Innerstes und weist uns den Weg zu Frieden und Gerechtigkeit. Unsere widerständige Gemeinschaft gegen menschenverachtende Worte und Taten sind kraftvolle Beispiele für das Licht Gottes mitten unter uns.   


Martin Luther King meinte, es seien eigentlich zwei Lichter, „eines, das in der Helligkeit des Tages den Weg weist, wenn Hoffnungen erfüllt werden und alles uns wohlgesinnt ist. Und ein anderes, das uns durch die Dunkelheit der Nacht leitet, wenn wir niedergeschlagen sind und Schwermut und Hoffnungslosigkeit in uns erwachen“.


Und so erging es mir in den vergangenen Nächten, liebe Gemeinde. Das ist das zweite Ereignis, das mich heute bei der Lektüre des 2. Korintherbriefs beschäftigt. Vielleicht werden Sie sich in diesen Tagen auch gefragt haben: Wie kann ich als Christin, als Christ zu dieser Kirche stehen? So viel Finsternis, so viel Leid haben Pastoren, Diakone und Ehrenamtliche in das Leben schutzbedürftiger Kinder und Jugendlicher gebracht. Mir schnürte die Berichterstattung über die Missbrauchsfälle in der Evangelischen Kirche und Diakonie die Kehle zu, gerade weil ich mich seit so vielen Jahren dafür einsetze, dass Betroffenen sexualisierter Gewalt geholfen wird, dass sie angehört und ernst genommen werden, dass die Kirche ihr Leid anerkennt und sie angemessen unterstützt. Die Ergebnisse der von der EKD in Auftrag gegebenen Studie sind erschütternd und beschämend. Unsere Kirche ist schuldig geworden, nicht nur durch einzelne Amtsträger sondern auch als Institution. Das ist niederschmetternd, es macht mich wütend und traurig.


Aber dabei darf ich/dürfen wir nicht stehenbleiben, liebe Gemeinde, sondern im Gegenteil diese wichtigen Einblicke und Erkenntnisse als Ansporn sehen, aus ihnen lernen, Machtstrukturen in der Kirche verändern, alle Fälle aufarbeiten, Licht ins Dunkel bringen, Verantwortliche schulen und Schutzkonzepte erarbeiten und auch hier: Aufstehen und den Mund öffnen für die Stummen. Achtsam sein, aufmerksam zuhören und handeln, wenn Kinder zu uns kommen und davon erzählen, dass sie vor jemanden Angst haben oder sich in einer Gruppe nicht wohl fühlen. Unsere Kinder und Jugendliche sind uns als Gottes Kinder anvertraut. Durch Jesus Christus wissen wir, dass wir in jedem Kind, ja in jedem anderen Menschen Gottes Angesicht sehen.


Wenn ich vor diesem Hintergrund den Brief des Paulus lese, dann weckt er meine widerständige Kraft: Ob du groß bist oder klein, Mann oder Frau, mit schwarzer oder weißer Hautfarbe, Jüdin oder Christin: Lass dich nicht klein machen, lass dich nicht demütigen, lass dich nicht entmutigen. Unsere widerständige Gemeinschaft gegen menschenverachtende Worte und Taten sind kraftvolle Beispiele für das Licht Gottes mitten unter uns. Wir werden bedrängt, aber wir werden nicht erdrückt, schreibt Paulus. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. In dieser Zuversicht liegt der Schatz des Glaubens.


Paulus beschreibt ihn angesichts der Anfechtungen, die ihn damals bedrückten, und weckt eine Hoffnung, die wir gerade jetzt so dringend brauchen. Der hoffende Glaube wird immer wieder in Frage gestellt und erschüttert. Deswegen sagt er: wir haben den Schatz des Glaubens nur in irdenen Gefäßen. Irdene Gefäße wie Schalen, Tassen, Kannen - sie sind zerbrechlich, sie haben Bruchstellen, sie können zerspringen. So wie das Leben, das verwundbar und verletzlich ist. So wie die Liebe, die zerbrechen und vergehen kann. So wie der Glaube, der zweifeln kann.


Für Paulus ist dieses angeschlagene Leben genau der Ort, an dem Gottes Kraft überschwänglich wirkt. Hier und jetzt, in deinem Herzen und in dieser Welt vertreibt er die Finsternis durch das Licht des Lebens, damit sich die Geknickten aufrichten, die Gedemütigten wehren und die Mutlosen aufatmen, damit die Verletzten geheilt und die Verfolgten gerettet werden, damit unsere Kirche ihre Mängel erkennt und sich erneuert. Amen!

 

Fürbittgebet mit Antworten „Erbarme dich“

 

Du sprichst,
barmherziger Gott,
damit es in uns hell wird.
Du sprichst,
damit es in der Welt hell wird.


Vertreibe mit deinem hellen Schein
die Finsternis des Krieges,
dass es ein Ende hat
mit dem Tod,
mit den Vergewaltigungen,
mit der Angst.
Wir bitten dich: Erbarme dich.


Vertreibe mit deinem hellen Schein
das Dunkel von Streit und Lüge,
dass es ein Ende hat
mit hartherzigem Beharren auf dem Eigenen,
mit verächtlichen Worten über die anderen,
mit unbarmherzigen Blicken auf die Schwachen.
Wir bitten dich: Erbarme dich.


Bekehre mit deinem hellen Schein
alle, die Schuld auf sich geladen haben,
dass es ein Ende hat
mit Verschweigen und Vertuschen,
damit Bitten um Vergebung von Herzen kommen,
damit die Wunden von Missbrauch heilen können.
Wir bitten dich: Erbarme dich.


Ermutige mit deinem hellen Schein alle,
die im Schatten leben,
damit sich die Geknickten aufrichten,
die Gedemütigten wehren,
die Mutlosen aufatmen.
Wir bitten dich: Erbarme dich.


Hülle ein in deinen hellen Schein
unsere Verstorbenen.
und alle, die trauern


Und die Menschen, die uns persönlich am Herzen liegen und die wir nun in der Stille vor dir nennen.


Stille


Wenn du sprichst,
barmherziger Gott,
hat die Finsternis verloren.
Sprich auch heute
und lass es licht werden
in uns,
in deiner Kirche,
in deiner Welt
durch Jesus Christus, unseren Morgenstern.
Amen.

 


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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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