Predigt am 10. März 2024 – Sonntag Laetare

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

Kantatengottesdienst: J. S. Bach: „Gott, der Herr ist Sonne und Schild“ BWV 79
„Von Kraftquellen der Zuversicht“ (Psalm 84)



Liebe Gemeinde,

 

Wie herrlich ist diese Musik! Wie feierlich und festlich ist diese Kantate inmitten der Passionszeit. Am sog. Sonntag Laetare, an dem Texte voller Trost und Musik voller Freude das Osterfest schon anklingen lassen. Eindrucksvoll erklingen die Hörner und Pauken, die Choräle und Sologesänge sind voll des Lobens und Dankens. Fröhlich und leichtfüßig stimmt J. S. Bach uns ein in diesen Sonntag. Bach hat keine Passionskantaten komponiert. In dieser aber nimmt er Bezug auf den Psalm dieses Sonntags, der mit den Worten schließt, die der Kantate den Titel geben: Gott der Herr ist Sonne und Schild.

 

Wie herrlich ist diese Musik! Und: Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth, meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn; mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott – ich weiß nicht, ob Sie eben genau das erlebt haben, liebe Gemeinde, Freude in dem lebendigen Gott, Freude an der schönen Musik, an diesem Raum, in dieser (!) Wohnung Gottes.
Danach sehnt sich der Psalmbeter. Wahrscheinlich weilt er fern von Jerusalem, fern vom Tempel, dem Ort der Gottesgegenwart in alttestamentlicher Zeit. Vielleicht ist er im Exil, oder auf der Flucht oder auf dem Weg nach Haus.
Vielleicht sehnt er sich nach Geborgenheit, nach einem sicheren Ort, so wie die Vögel ihr Haus und die Schwalben ein Nest für ihre Jungen gefunden haben. Vielleicht ist er auf der Suche nach einer Kraftquelle für seinen Weg, für seine Seele, nach Trost in trostlosen Zeiten, nach Zuversicht angesichts der Übermacht von Krisen, derer er sich kaum noch gewachsen fühlt. So jedenfalls erlebe ich unsere Zeit heute, liebe Gemeinde – und ich muss da ja gar nicht ins Detail gehen. Wenn ich das Wort Krise erwähne, hat jede und jeder Bilder und Szenarien im Sinn, die uns das Leben nicht nur schwer machen, sondern so oft auch aussichtslos erscheinen lassen.


Der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda, der in St. Katharinen sein kürzlich erschienenes Buch „Mehr Zuversicht wagen“ vorgestellt hat, zitiert darin eine Studie, der zufolge 56 % der Achtzehn bis Vierunddreißigjährigen lieber in der Vergangenheit leben wollen als in der Gegenwart. Da sei das Leben geordneter und sicherer gewesen, und es hätte weniger Krisen gegeben. Krass! Was ist das für eine beunruhigende Nachricht: Wo kommen wir hin, wenn die Mehrheit der Jugend von einer vermeintlich besseren Vergangenheit träumt als von einer guten Zukunft? Was sagt dieser Befund aus über die Sehnsüchte und Hoffnungen junger Menschen? Meine Großeltern und Eltern arbeiteten (oder schufteten) dafür, dass es ihre Kinder eines Tages einmal besser haben würden als sie. Das motivierte sie, und diese Haltung verband Generationen. Aber die Zuversicht scheint verflogen. Eltern und Kinder sagen heute: „Wir müssen alles tun, was wir können, damit es den nachfolgenden Generationen nicht viel schlechter gehen wird als uns …“ (H. Rosa, 52). Gehen wir nicht mehr auf eine verheißungsvolle Zukunft zu, sondern laufen vor einem Abgrund weg? (Rosa). Was meinen Sie, liebe Gemeinde?

 

Wohl denen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln. Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund und Frühregen hüllt es in Segen. Dieser Psalmbeter blickt nicht zurück, sondern nach vorn. Er hat ein verheißungsvolles Ziel vor Augen und das gibt ihm Kraft für seinen Weg, ist er auch noch so beschwerlich.
So geht es mir in diesen Wochen, liebe Gemeinde, angesichts der dürren Täler, der Tränentäler unserer Tage und im Blick auf die Passion Jesu, an die wir seit Aschermittwoch erinnern. Wenn ich vom Ziel des Weges Jesu, wenn ich vom Osterfest auf die Krisen dieser Zeit schaue, dann sehe ich eben nicht nur den Abgrund, die Not, den Tod – dann wandelt sich das dürre Tal zum Quellgrund und zeigt mir den Weg zum Segen. So wie es im Wochenspruch heißt: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein. Wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Es ist ein Bild für den bevorstehenden Tod Jesu – der nicht das Ende, sondern den Anfang neuen Lebens bedeutet.
An Jesu Weg wird deutlich, dass Gott auch in den tiefsten Tälern bei uns ist, um uns da wieder heraus zu führen. Jesus trägt ein fremdes Joch. Er nimmt viel Leid auf sich. Er begibt sich in auf einen Weg, auf dem er Verrat und Gewalt erleiden muss, der ihn einsam und verzweifelt klagen lässt, der auch vor Selbstzweifeln nicht Halt macht, der in mancher Hinsicht für uns und vielleicht auch ihn unerklärlich bleibt – aber er geht ihn im Vertrauen auf Gott.


Selbst in der allergrößten Not, in seiner Glaubenskrise am Kreuz, wendet er sich Gott zu und hält an ihm fest. Aus Liebe. Zu den Seinen. Zu Gott.

 

Gottlob, wir wissen – Den rechten Weg zur Seligkeit; Denn, Jesu, du hast ihn uns durch dein Wort gewiesen, Drum bleibt dein Name jederzeit gepriesen. Weil aber viele noch Zu dieser Zeit An fremdem Joch Aus Blindheit ziehen müssen, Ach! so erbarme dich Auch ihrer gnädiglich, Dass sie den rechten Weg erkennen Und dich bloß ihren Mittler nennen.

 

Jesus ist der Mittler, der Vermittler eines Vertrauens und einer Zuversicht gerade in Zeiten der Verblendung, der viele Menschen erliegen, und eines fremden Jochs, dem viele ausgeliefert sind. Derzeit ist es der Hass zwischen Völkern, der blind macht für die Möglichkeiten des Friedens, und es ist die Fremdherrschaft einzelner weltlicher Machthaber, die unschuldige Kinder, Frauen und Männer unter das Joch eines Gewaltsystems zwingt. Aber so muss es nicht bleiben. So wird es nicht bleiben, denn das Ziel unseres Weges ist nicht der Tod, sondern das Leben, nicht die Knechtschaft, sondern die Freiheit, nicht Gewalt sondern Liebe.

 

Wohl denen, die dich für ihre Stärke halten. Sie gehen von einer Kraft zur anderen und schauen den wahren Gott in Zion. Ja, das wäre es: auch auf unseren Wegen von einer Kraft zu anderen gehen (oder geführt werden) und dabei auf den vertrauen, der uns erwartet, jeden Morgen neu, indem er die Sonne über uns aufgehen lässt und Wege zum Quellgrund aufzeigt. Gott gibt diese Kraft nicht im Übermaß, sondern Tag für Tag, Nacht für Nacht, soviel du brauchst auf deinem Weg. Er gibt sie, damit du dein Ziel nicht aus den Augen verlierst, das Ziel für dieses Leben und für das kommende auch nicht.

 

Ich komme nochmal zurück auf die ernüchternde Studie, die ich anfangs zitiert habe und frage mich: Was kann ich tun, dass wir uns von negativen Zukunftsaussichten nicht unterjochen lassen? Wie kann ich als Christin dazu beitragen, dass wir wieder mehr Zuversicht wagen? Auf welche Kraftquellen kann ich verweisen, auf welche Bilder und Geschichten, damit die Sonne nicht nur äußerlich scheint, sondern auch die mutlose Seele erhellt?
Denn Gott, der Herr ist Sonne und Schild, er gibt Gnade und Ehre, und wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen. Herr Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf dich verlässt. Mit diesen Worten endet der heutige Psalm. Ich weiß nicht, ob ich mich zu den Frommen zählen würde. Die Einteilung in fromm und ungläubig, gerecht und ungerecht ist mir fremd, und passt nicht in unsere Zeit. Aber dass Gott denen Gutes zukommen lässt, die sich auf ihn verlassen, die ihn für ihre Stärke halten und sich nicht selbst göttlich finden, die wissen, dass sie ihr Leben, ihr Glück und ihre Lebenskraft anderen verdanken und erkennen, dass ihr Leben nur gelingen kann, wenn es in Liebe gelebt wird, darauf vertraue ich.

 

Carsten Brosda meint übrigens, um Zuversicht zu wecken, reichen Prognosen, Zahlen und wissenschaftliche Daten nicht aus. Sie überzeugen ihre Kritiker nicht, sondern lassen sich durch andere Untersuchungen widerlegen oder durch gezielte Falschnachrichten in Frage stellen. Er meint, es braucht Geschichten, Narrative und Lieder von einer guten Zukunft. Unsere Bibel ist ja voll davon, und wir sollten nicht aufhören, sie zu erzählen und von ihnen zu singen.

 

Daher: Nun lasst uns Gott dem Herren Dank sagen und ihn ehren (EG 320 1–8) und Amen.

 


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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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