Predigt am 11. April 2021 – Sonntag Quasimodogeniti

Pastor i.R. Sebastian Borck

Sehnsucht nach Auferstehung

 

Auferstehung – ein paar nüchterne Anmerkungen

Über Jesu Auferstehung wird viel erzählt. Doch einen historischen Bericht über die Auferweckung Jesu von den Toten kennen wir nicht. Bei allen Bildern und Geschichten handelt es sich vielmehr um Reflexionen über die Auferstehung.

Auferstehung ist eine Sache des Glaubens. Sie entbehrt jeglicher geschichtlichen Analogie. Aber das bedeutet nicht, dass Vernunft und Naturgesetze außer Kraft gesetzt wären. Vielmehr kommen historisches Geschehen und christlicher Glaube in bestimmter Weise zusammen. Auferstehung ist eine Verbindung von etwas, was in der Geschichte passiert ist, mit Vorstellungen des Glaubens.

Jesus war ein Mensch des Judentums in Palästina, der in den Jahren 26 bis 30 nach christlicher Zeitrechnung in provozierender Weise für Gott eingetreten ist. Mit dem Anspruch ist er aufgetreten, dass sich in der Begegnung mit ihm die verkündigte Nähe Gottes selbst realisiert. So hat er Kranken und Ausgegrenzten und Sündern neues Leben und neue Hoffnung eröffnet. Kein Wunder, dass er mit Rechtgläubigen in Konflikt geraten und von den Römern gar als Aufrührer betrachtet worden ist. Das hat um das Jahr 30 seine Bewegung zum Scheitern und ihn zur Hinrichtung am Kreuz gebracht.

So weit historisch so klar. Aber damit historisch noch nicht ganz genug. Denn irgendwie kann es dabei nicht geblieben sein, es muss eine Wende gegeben haben, einen Umschlag von Hoffnungs-losigkeit in neues Leben, eine Bewegung von Kraftlosigkeit in neuen Aufbruch.

Die Jesus-Verkündigung, die öffentlich den Stempel des Scheiterns davongetragen zu haben schien, muss durch verschiedene Begegnungen mit dem Gekreuzigten als von Gott selbst bekräftigt und ins Recht gesetzt erfahren worden sein, ein für allemal.

Wie gesagt: einen historischen Bericht von der Auferstehung – oder jedenfalls etwas ähnlich den Berichten von Jesu Passion – gibt es nicht. Eher sind es lauter Bilder und Geschichten, die jeweils um eine Irritation, eine Vergegenwärtigung, eine typische Geste der Jesusbewegung kreisen: das leere Grab, „was sucht ihr den Lebenden bei den Toten – hier ist er nicht“, Brote und Fische, das Kommen Jesu durch verschlossene Türen, die Wunde Jesu, „rühr mich nicht an“ … Jede und jeder kann da seine Lieblingsgeschichte haben. Für mich kommt die Wende von der gescheitert geglaubten Hoffnung zu neuer lebendiger Überzeugungskraft der Verkündigung von der Liebe Gottes in Christus Jesus am klarsten zum Ausdruck in der Geschichte der Emmausjünger. Als ermit ihnen zu Tisch sitzt und das Brot bricht, da gehen ihnen die Augen auf, dass es Jesus ist. „Brannte nicht unser Herz?“ Es ist eine Erfahrung mit der Erfahrung. Das ist Glaube, der die Existenz ergreift, weit mehr als historisches Wissen.

Und was da an Umschlag passiert ist (wie gesagt: was ganz genau, wissen wir nicht), hat zu denken gegeben:

Ein einfaches Weiter so, „die Sache Jesu geht weiter“, war‘s jedenfalls nicht. Um Begegnungen ging es, in denen sich frühere Begegnungen mit Jesus aktualisiert haben. Aber diese haben sich offenbar  anders als in herkömmlicher Leibhaftigkeit vollzogen. Den Jüngern, den Frauen zuerst und dann auch den Männern, ist klar geworden: Wo menschlich alles zuende war, muss Gott einen neuen Anfang gesetzt, schöpferisch das Leben und allen umstrittenen Anspruch Jesu bekräftigt haben. Darum haben sie auch nicht von „Auferstehung“ gesprochen, so als ob es aus dem Nichts heraus Jesu eigene Bewegung gewesen wäre, sondern präziser von „Auferweckung“ durch Gott.

Und diese Grundvorstellung der Auferweckung hat die vielen Bilder und Geschichten aus Jahrhunderten der Glaubensgeschichte Israels zu neuem Leben erweckt. In der Überwindung des Todes, wie sie vor Zeiten schon verheißen war, kommt Gottes schöpferische Liebe zur Anschauung.

Das hat den Glauben sozusagen rückwärts ins Laufen gebracht, hat jede Heilung, jedes Gleichnis, jedes Streitgespräch Jesu, ja die ganze Jesus-Bewegung nochmal neu als Handeln Gottes verstehen gelehrt. Das hat zu den Evangelien geführt, die alle mit längerer Einleitung Jesu Passion als zu unserm Heil geschehen erzählen.

Wie bei Jesaja: das Böse hat nicht das letzte Wort. „Fürwahr, er trug unsere Krankheit. Um unserer Missetat willen ist er zerschlagen. Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,4f)

Auferstehung, nach und nach und immer grundlegender so verstanden, bedeutet: Über allen Tod hinaus sind wir von Gott geliebt. Schon jetzt sind wir nicht nur auf Jesu Tod getauft, sondern mit seiner Auferstehung verbunden. „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn!“

Nüchtern betrachtet bleibt das alles ein Ereignis in der Geschichte ohne direkte historische Beweise. Aber wollen wir uns über den reichen Schatz des Glaubens, den das ausgelöst und zum Klingen gebracht hat, erheben?


PREDIGT

„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“
Sehnsucht nach Auferstehung – klar, das kennen wir. Es ist, liebe Gemeinde, als ob jede und jeder mit beidem hinreichend Erfahrung hat: mit der Auferstehung und der Sehnsucht danach. Die Sehnsucht ist auf mehr gerichtet ist als auf ein bloßes Wiederaufstehen. Es ist die Angewiesenheit auf einen Anstoß von außen, der in mir etwas aufweckt und schöpferisch neue Kräfte freisetzt. Sehnsucht nach einer befreienden Begegnung, die mich das Seufzen vergessen lässt und ins Jauchzen bringt. Auf und los! Auferstehung.

Ist es nicht eigenartig, dass bei allem Zweifel doch in uns allen Gefühle stecken und wir mehr oder weniger konkrete Erfahrungen damit haben, was Auferstehung ist? „Wär nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt es nie erblicken“, sagt Goethe, „läg nicht in uns Gottes eigene Kraft, wie könnt uns Göttliches entzücken.“

Der Osterglaube bedeutet: Wir dürfen uns bejahter, geliebter, gewollter verstehen, als wir gerade denken. Wir mögen Tristesse empfinden und Bedrängnis – aber das Licht leuchtet schon. In diesem Vorzeichen dürfen wir alles sehen.

Als „Krankheit zum Tode“ ist menschliches Leben verstanden worden. Der Tod wirft seinen Schatten auf die Existenz des Daseins zurück. Wo dazu noch Melancholie und Depression das Herz beschweren, kann diese Vorstellung zum tödlichen Verhängnis werden. Wir wissen: nur Anstöße von außen – so sehr sie auch innerer Abwehr unterliegen mögen – können da helfen. Sei es die Sorge um einen anderen, die einen ruft, sei es ein Anruf des Lebens, der einen trifft, sei es das Zutrauen eines anderen, das mich stellvertretend am Leben hält. All diese Anstöße von außen haben ihr österliches Recht, sind praktische Konsequenzen aus Ostern.

Der Auferstehungsglaube hat sehr viel mit solch einem widerständigen Netz des Vertrauens zu tun, das der Verfallenheit zum Tode entgegentritt. Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!  

Keiner ist immer in der Lage, Meister und Schöpfer seines Lebens aus sich allein heraus zu sein. Wo einen die Hoffnung verlässt und es scheint, alles sei vorbei, braucht es die Zusicherung, am besten auf Gegenseitigkeit: Gut, dass du da bist. Ich mag dich. Dein Tun macht Sinn. Bleib dran. Das kann man nicht sich selber sagen. Keiner geht vor Gott verloren. Das kann schon mal zum Ringkampf werden: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!

Auferstehung, Ostern bedeutet nicht, dass die Probleme der Welt keine Rolle mehr spielen, das eigene Sein allem schon enthoben wär. Tod und Grenzen, Unrecht und Infragestellungen bedrängen uns weiterhin.  

Aber der Osterglaube verändert das Vorzeichen: Es lohnt, die Welt und alles Begrenzte, und sei es noch so bedroht und hoffnungslos erscheinend, von Gottes beziehungsorientiertem Mehrwert her zu betrachten. Zu jeder Wahrheit gehören zwei. Leben ist Beziehung. Vertrauen ist die Urkraft des Lebens. Unrecht und Zerstörung können noch so verheerend sein, aber gegen Liebe und Zuwendung sind sie kein Argument. Nicht zum Tode – zum Protest für das Leben ist das Leben bestimmt.

Mit der Auferweckung Jesu von den Toten will Gott jede und jeden von uns erreichen: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!

Mitten im Auf und Ab, in der dritten Welle von Corona und wohin uns das Leben sonst verschlagen hat, mit all unserm Seufzen und unserer Sehnsucht nach Auferstehung können wir zu Gott kommen. Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!

Amen.

 

 

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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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