Predigt am 13. Februar 2022 – Sonntag Septuagesimä

Pastorin Carolin Sauer

„Das gefällt mir“ (Jer 9,22-23)

 

Predigttext: Jer 9,22-23

 

Wie kann man die Stunde bestimmen, in der die Nacht endet und der Tag beginnt. So fragt einst ein Rabbi seine Schüler.
„Ist es wenn man von weitem einen Hund vom Schaf unterscheiden kann?“ fragte einer seiner Schüler.  
„Nein“ sagte der Rabbi.
„Ist es wenn man einen Apfelbaum von einer Birne unterscheiden kann?“ fragte ein anderer. „Nein“, sagte der Rabbi.
„Aber wann ist es dann?, fragten die Schüler.

 

Wann ist keine Nacht mehr? Wann wird es Licht?

 

Licht an! Was bringst Du mit, das Licht bringt? Oder ich? Wo scheinen wir?

 

Vielleicht so:

 

Ich kann musizieren, dass der Himmel auf Erden spürbar wird. Ich kann als Vater dreier Kinder im Homeoffice arbeiten, auch wenn nebenan eine Kissenschlacht tobt. Ich kann Worte finden, die trösten, die zum Lachen bringen. Ich kann erfolgreich wirtschaften. Ich kann an Visionen festhalten, die ganz neu zu denken wagen. Ich kann mit meinen Händen Dinge bauen, die halten. Ich kann aus dem Gedächtnis alle Strophen von „der Mond ist aufgegangen“ singen. Ich kann lauter schreien als du. Ich kann Kameras führen und Ton abmischen. Ich kann kritische und gute Fragen stellen, die Erwachsenen unbequem werden können. Ich kann einen Kirschkern von einer zur anderen Straßenseite spucken, ich kann lachen und leben und leicht sein. Ich kann Menschen auf ihren Lernwegen begleiten. Ich, Du, wir können leuchten und Licht bringen!


So spricht der Herr: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht Herr. (Jer 9,22-23)

 

Das passt doch eigentlich ganz gut, für eine Zeit der vielen ersten Momente, der ersten Blicke, Worte und Kontakte, für unsere gemeinsame Kennenlernzeit. Für diese Anfangszeit. Vorstellen meint ja auch etwas vorne an stellen, ins Licht rücken, da wo es alle sehen können. Wessen rühme ich mich, so fragt der Predigttext. Auf den ersten, zweiten, oder dritten Blick? Es ist eine antike Formulierung der Identitätsfrage: Wer will ich sein, als welche will ich gelten? Wessen rühme ich mich?

 

Erst einmal steht da ein großes: So schonmal nicht! Weisheit, Stärke und Reichtum an Gaben und Gütern - das soll es also nicht sein. Ganz schön harsch, wie ich finde! Wie wunderbar doch die Gabe, weise zu handeln - abzuwägen und bedacht in die Zukunft zu blicken. Sich in Denktraditionen zu stellen.

 

Und wie wunderbar die vielen Gaben, die in einer Gemeinde zusammenkommen und die Stärken, die alle mitbringen. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel! Wir sind doch ein Leib und viele Glieder, wir brauchen doch alle!

 

Wie wunderbar, wenn reichlich da ist für Leib und Leben. Wenn das keine Sorge ist.
Sich freuen an Musik, den abrufbaren Resilienzen eines Kissenschlacht-Homeoffice, an Visionen und Kirschkernfähigkeiten, am Lachen und Leben und leicht sein! Gefällt also alles nicht?

 

Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei (Jer 9,23) oder wie man noch übersetzen kann: dass er Einsicht habe, oder verständnisvoll sei und mich kenne, dass ich Adonaj, dein Gott bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht Adonaj. (Jer 9,23)

 

Selbstbewusst sein, sich freuen an dem, was ist, so bin ich überzeugt, wird hier ebenso wenig abgetan, noch das Rühmen an sich. Sei ruhig stolz, so ermutigt der Text! Aber lasst deinen Blick weit schweifen. Das Licht, das allein auf Einzelne scheint, lässt viele im Schatten. Wer sich selbst rühmt geht Gefahr, das Gegenüber aus dem Blick zu verlieren. Klug ist, wer das feiert, was über das Eigene hinausgeht und mit anderen verbindet.


Und… wer dabei auf festem Grund steht. Rühme dich, dass du Gott kennst! (Jer 9,23)

 

Den Gott Israels und Jakobs, der mitgeht und versprochen hat, da zu sein. Denn Wegbegleiter ist Gottes Name. In allen Lebenslagen. Schritt für Schritt. Nicht in einem errechneten Plan, sondern als der, der gibt, was es zum Leben braucht. So wie wir es im Evangelium heute gehört haben. Durch Wüste und Meer. Als Feuersäule des nachts und Wolkensäule des Tags.

 

Rühme dich, dass du Gott kennst! Für uns Christinnen und Christen wurde Gott selbst Mensch. Mitten in dieser Welt als Jesus Christus. Eine göttliche Lebensgeschichte, die alles andere als geradlinig und ganz sicher nicht im klassischen Sinne rühmenswert war. Rühme dich, dass du Gott kennst. Den am Kreuz, der nicht um jeden Preis leben, aber um jeden Preis lieben wollte!

 

Ich bin und werde, weil es einen Gott gibt, der „Du bist wertvoll für mich“ sagt.

 

Du bist es wert, auch wenn du Fehler machst, Barmherzigkeit zu erfahren. Du bist es wert, dass deine Rechte geschützt werden, auch wenn du selbst nicht immer glänzt. Du bist es wert, dass es gerecht zugeht. Du bist es wert stolz zu sein.

 

Und das nicht, weil du besonders hell scheinst. Sondern weil du bist! Was für eine Erleichterung! Das macht den Blick weit für den Weg mit Gott. Denn Gott kennen ist nie Gott haben. Wir werden Gott nie habhaft werden…Gott sei dank! Gott kennen ist Gott suchen. Nicht haben, sondern gesucht werden. Nicht haben, sondern finden! Immer wieder.

 

Auf diesem Grund verwurzelt sind die beiden Dreierpaare dann auch keine Gegenspieler mehr: Weisheit, Stärke, Reichtum auf der einen und Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit auf der anderen Seite. Sie gehören zusammen: als Weisheit, die die Gemeinschaft im Blick hat, als Stärkung des Rechts, nicht als Recht der Stärkeren und als Reichtum im Dienst der Gerechtigkeit. Rühm dich dessen! Denn so soll es sein! Das gefällt mir!

 

Ein alter Rabbi fragt einst seine Schüler, wie man die Stunde bestimmt, in der die Nacht endet und der Tag beginnt.
 „Ist es wenn man von weitem einen Hund vom Schaf unterscheiden kann?“ fragte einer seiner Schüler.  
„Nein“ sagte der Rabbi.
„Ist es wenn man einen Apfelbaum von einer Birne unterscheiden kann?“ fragte ein anderer.
„Nein“, sagte der Rabbi.
 „Aber wann ist es dann?, fragten die Schüler.
Es ist dann, wenn du in das Gesicht irgendeines Menschen blicken kannst und darin deine Schwester oder deinen Bruder siehst. Bis dahin ist die Nacht noch bei uns.“
(Geschichte aus den Erzählungen der Chassidim)

 

Licht an!

 

Ich bin ein begnadeter Musiker, ein Homeofficeexperte, Trösterin und Clown. Unternehmerin und Visionär. Handwerkerin, Aufnahmeleiter und Kirschkernweitspuckerin. Ich bin textsicher und laut, kritisch und begleitend. Ich bin, weil du bist und sprichst: Du! Genau du bist mein geliebtes Kind.

 

AMEN

 


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