Cain Holzdrucke vom hohen C von Felix Droese. Die alte Erzählung von Kain und Abel, millionenfach wiederholt in der Weltgeschichte, ist dem Künstler Ausgangspunkt für seine Auseinandersetzung mit dem Problem des Humanum.
Geleitwort Cain — biblische Variationen zum hohen C
Der alte biblische Mythos von K(C)ain und Abel ist zum Symbol für Haß, Streit, Blutvergießen, Völkermord, Bruder/Schwester-Mord in unserer Welt geworden. Ein Menetekel. Und das „Kainsmal" - ursprünglich wie im biblischen Text nachzulesen als Schutzmal gedacht - ist umgangssprachlich zum Sinnbild für eine Brandmarkung geworden: „So einer bist du!"
Warum ist das so? Der erste Mord in der Menschheitsgeschichte (noch ehe die zehn Gebote - „Du sollst nicht töten" - bekannt waren) hat seine Folgen bis heute. Wir haben kaum etwas dazuge-lernt. Manchmal hat man gar den Eindruck: Wir haben gar alles verlernt, und das „Kainsmal" ist uns allen eingebrannt.
Es gibt viele Deutungen der biblischen Kainsgeschichte (Neid/Rivalität zwischen Geschwistern; Streit zwischen Nomaden (Abel, der Hirte) und Seßhaften (Kain, der Bauer); Willkür Gottes uns Menschen gegenüber usw. Viele Variationen.
Für mich zählt: Kain und Abel haben keine Möglichkeit gefunden, miteinander zu reden. Hätte Kain mit Abel gesprochen, ihm seine Verletzung mitgeteilt; hätte Abel mit Kain geredet, ihm gesagt, daß er unverdient von Gott bevorzugt wurde; hätte Kain mit Gott gere-det, ihm sein Leid geklagt: „Ungerecht gehst du mit mir um, mein Gott" - es wäre nicht zum Mord gekommen. Im Gespräch geschwisterlich, göttlich-menschlich - wären sie aufeinander zugegangen.
So aber brütet Kain dumpf vor sich hin. Abel sieht nur sich und sein eigenes Glück, blickt nicht auf die Verletzungen des Kain. Abel schweigt - Kain brütet dumpf vor sich hin, senkt seinen Blick, das Blut siedet ihm, und schweigend tötet er seinen Bruder. Schweigend - dumpf - unfähig zum Reden.
Ein Menetekel für uns heute? Eine Brandmarkung für uns heute? Sinnbild dafür, wie es bis heute unter uns zugeht? Solange wir noch miteinander reden, wird nicht geschossen, wird nicht gemordet. Solange leben wir. Und zum Leben, zum gelungenen Leben hat Gott uns geschaffen.
Hauptpastor Prof. Dr. Axel Denecke