Predigt am 22. August 2021 – 12. Sonntag nach Trinitatis

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

„Von Wasserquellen und Meeren“ (Joh 4,14; Genesis 1,10)

 

Liebe Gemeinde,

 

es gibt mehrere Orte, die mir in meinem Leben zur Quelle des Glaubens geworden sind. Diese Kirche gehört gewiss dazu, aber immer wieder auch der Saum des Meeres, an dem ich gerade meinen Urlaub verbringen durfte. Am Strand oder auf dem Deich staune ich über die unendliche Weite des Wassers. Ist der Himmel über mir sonnig, dann leuchtet es in einem tiefen Blau und spiegelt seine Farbe wider. Manchmal liegt es vollkommen still und sanft vor mir, nur ganz leicht kräuselt sich seine Oberfläche. Dann wieder schlagen hohe Wellen ans Ufer und weiße Gischt fegt über den Strand: das Meer wütet und tobt und reißt Stücke des Ufers ab, wie die reißenden Flüsse in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen Mitte Juli. Das Wasser, eigentlich eine Quelle des Lebens kann sich urplötzlich verwandeln zur Quelle des Todes.


Zu einer Quelle des Glaubens wird es, wenn wir es in einen größeren Zusammenhang stellen, so wie es die Schöpfungsgeschichte in Genesis Kapitel 1 überliefert oder aber wie es Jesus der Samariterin am Brunnen erzählt. Wenn ich am Meer stehe und fasziniert auf das blaue Wasser schaue, dann empfinde ich etwas von der Ursprünglichkeit des Seins. Dann fallen mir diese Worte aus dem ersten Buch der Bibel ein, die auf mythologische Weise beschreiben, wie dieser wunderbare Planet Erde erschaffen sein könnte: Aus dem Wasser ist alles Leben hervorgegangen, denn über dem Wasser schwebte der Geist Gottes.


Die Autoren der Bibel hatten nicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse von heute, aber die Bedeutung des Wassers war ihnen bewusst. Und so war es nur logisch, dass es eine überirdische Kraft geben musste, welche die Wasser bändigt und sammelt: zunächst durch eine Art Glocke, die den Regen am Himmel bändigt und zurückhält, und dann durch ein Zurückziehen der Wasser am Boden, so dass das Trockene auftauchen konnte. Diese Kraft hatte nur der ewige, der ewig schaffende Gott: „Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war“ (V10).


Daran denke ich am Ufer des Meeres. Ich staune über seine Schönheit, seine Tiefe, seine Weite und transzendiere diese Gedanken hin zu einem religiösen Empfinden und Gebet: Gott, wie sind deine Werke so groß und viel. Du hast sie alle weise geordnet (Psalm 104).


Diese weise Ordnung nennen die Wissenschaftler ein funktionierendes Öko-System, in dem alles zusammenstimmt: Verdunstung und Regen, Trockenheit und Feuchte, Winde und Meeresströme, Hitze und Frost. Vor zwei Wochen wurde vom Weltklima-Rat wissenschaftlich belegt, dass der Klimawandel nicht naturgegeben, sondern menschengemacht ist, dass unser Handeln zu den katastrophalen Wetterextremen führt, unter denen wir in diesen Tagen so extrem leiden: Hitzerekorde, Brände, Dürren, Starkregen und Überflutungen. Die Forscher sagen: Wir müssen jetzt handeln und den globalen Temperaturanstieg jetzt stoppen. Wir müssen vor allem unsere Haltung ändern und im Blick auf das Wasser viel achtsamer mit dieser lebenswichtigen Ressource umgehen.


Wussten Sie, liebe Gemeinde, dass nur 3 % allen Oberflächenwassers aus Süßwasser bestehen? Dass 2/3 dieses Süßwassers als Eis in Gletschern und Polkappen gebunden sind und für Natur und Mensch nur 1 % übrigbleiben um die Felder bewässern, um Tiere und Menschen mit Trinkwasser zu versorgen und den Wasserverbrauch der Industrie zu sichern? Salzwasser gibt es genug auf Erden, aber Wasser im Sinne von Trinkwasser ist im Vergleich dazu eine Rarität und über den Globus noch dazu sehr ungerecht verteilt (s. Zeitzeichen 6/2021). Und wussten Sie, dass das menschliche Körperwasser in der mittleren Zusammensetzung immer noch dem Meerwasser entspricht, aus dem sich die Landlebewesen vor Millionen Jahren entwickelt haben? Jede menschliche Zelle trägt ein Tröpfchen Erinnerung an den Ursprung der Evolutionsgeschichte. Es ist wohl auch kein Zufall, dass wir uns über Monate im Wasser der mütterlichen Fruchtblase gerekelt und entwickelt haben und unser erster eigener Schluck Flüssigkeit keineswegs Muttermilch, sondern Wasser ist, nämlich Fruchtwasser (S. 32).


Wie wertvoll Wasser ist, das zeigt sich auch darin, dass alle großen Weltreligionen ihm eine heiligende oder rituelle Kraft beimessen, denken Sie an rituelle Reinigungen im Judentum oder im Islam oder an die Taufe im Christentum. Wasser ist kostbar, spendet Leben, löscht, erquickt, reinigt und erneuert, kann zu einer Quelle des Glaubens werden.


Das erzählt der Evangelist Johannes: Eine samaritische Frau ist zum Brunnen gekommen, wie jeden Tag. Von dort holt sie das Wasser, das sie zu Leben braucht. Jesus sitzt durstig am Rand des Brunnens, hat aber keine Schöpfkelle und bittet sie, ihm Wasser geben. Sie zögert, denn es ziemt sich für eine Samariterin nicht, mit einem Juden zusammen zu sein. „Wenn du wüsstest, wer ich bin, würdest du mich um Wasser bitten“, fordert Jesus sie heraus. „Aber du hast doch nichts, mit dem du schöpfen könntest“, wendet sie pragmatisch ein. „Das Wasser, das ich gebe, löscht deinen Durst in alle Ewigkeit, es wird in dir zu einer sprudelnden Quelle, deren Wasser ewiges Leben schenkt“. Diese Quelle versiegt nicht, sie stirbt nicht, sie macht lebendig über den Tod hinaus. Die Frau erkennt, dass er Christus ist und glaubt ihm. Die Begegnung am Brunnen wird ihr zur Quelle des Glaubens.


Welche sind die Quellen ihres Glaubens, liebe Gemeinde? Aus welchen Quellen schöpfen sie? Aus Gebeten, Begegnungen, Büchern, Konzerten, Aktionen? Woraus schöpfen Sie? Woraus schöpfen sie Kraft, wenn Krisen sie bedrücken? Was weckt ihre Zuversicht in Zeiten der Pandemie? Wer gibt ihnen Hoffnung, die stärker ist als der Tod und alle Todesmächte? Woher nehmen sie den Mut, aufzustehen und sich für eine gerechtere Welt und die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen?


Die Kunst kann uns dazu bewegen, kann nachdenklich machen, anregen, die Sinne schärfen, irritieren, verstören, so dass wir uns und die Welt, in der wir leben, neu wahrnehmen. Ich danke Clemens Tremmel für seine inspirierende Installation. Er nimmt uns mit in eine ganz besondere „Fahrt ins Blaue“, eine Reise mitten hinein in Emotionen und Assoziationen zu den Wassern der Erde – möge diese Installation für viele Besucher*innen zur Quelle werden. Und ich danke Meili Li für seine Stimme, für die Aufführung dieses schönen Stücks von Antonio Vivaldi. Wie die bildende Kunst, so vermag auch die Musik in uns zu einer Quelle lebendigen Wassers zu werden. Möge diese Quelle in uns nie versiegen, sondern den Glauben wecken, der uns zu Gott führt.

 

Amen.


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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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