Predigt am 24. Oktober 2021 – 21. Sonntag nach Trinitatis

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

„Jesus und das Schwert“ (Mt 10, 34–39)

 

 

Liebe Gemeinde,

 

wann haben Sie sich zuletzt mit einer anderen Person ordentlich gestritten? Heftig, emotional, mit weit auseinander liegenden Positionen, differierenden Meinungen oder Haltungen? Und worum ging es bei dem Streit? Um persönliches oder um politisches? Um Konflikte in ihrer Familie oder um Herausforderungen in ihrem Arbeitsumfeld? Um ihr persönliches Recht? Um Geld? Um das Erbe? Um die Ehre? Um Anerkennung und Respekt? Um eine Sache oder um Beziehungen? Um Lüge oder Wahrheit? Um Vertrauen?

 

Ich nehme an, dass die Politiker:innen, die sich derzeit in Koalitionsverhandlungen befinden, ausgiebig miteinander streiten – zunächst um den richtigen Weg für unser Land, dann über Posten und Personen. Wer wird Finanzminister, wer Vizekanzlerin oder Vizekanzler? Der Streit, die Auseinandersetzung um Wege und Ziele der Politik gehört zu Wesen einer Demokratie. Wenn er fair und respektvoll geführt wird, wird unmittelbar deutlich, dass es eben nie nur eine Meinung oder gar eine Wahrheit unter uns gibt, sondern dass man sich gemeinsam aus einer Vielzahl von Möglichkeiten für eine entscheiden muss. Kann anstrengend sein, ist aber notwendig.

 

Den letzten heftigen Streit, den ich in meinem beruflichen Umfeld erinnere, ist der um Präsenzgottesdienste zu Weihnachten im vergangenen Jahr. Die Pandemie hat uns auch im Kirchengemeinderat an Grenzen geführt: Die einen waren wegen der hohen Infektionslage grundsätzlich gegen Gottesdienste hier vor Ort, die anderen dafür. Gute Argumente hatten beide Seiten, es gab kein Richtig und kein Falsch, aber es war sehr viel Emotion und Aggression im Spiel. Wir merkten, hier geht es ans Eingemachte, um meinen ganz persönlichen Glauben, mein Bedürfnis nach Gemeinschaft, Gebet und Segen, mein Verständnis vom Auftrag der Kirche. Diese Debatte hat manche Gremien in unserer Ev. Kirche zerrissen. Und so ein Riss ging auch durch Familien und Freundespaare, er spaltete Eltern und Jugendliche, Geschwister und Großeltern, ja ganze Teile unserer Gesellschaft - bis heute.

 

Wenn wir um existentielle Anliegen streiten, kann das sehr schmerzhaft sein, sozusagen „einschneidend“. Das Wort weist daraufhin, dass es manchmal nicht ohne Verletzungen geht, dass Streiten richtig weh tun kann und nicht nur Tischtücher zerschnitten werden, sondern die Seele, das Herz.

 

Der heutige Bibeltext lässt vermuten, dass Jesus solche einschneidenden Auseinandersetzungen auch geführt haben muss. Anders jedenfalls kann ich mir seine Worte nicht erklären. Auf den ersten Blick lösen sie in mir heftigen Widerspruch aus, denn in den prägenden Traditionslinien des Neuen Testaments wird Jesus ja als Prediger einer radikalen Liebesethik und als Friedensstifter beschrieben. Ein paar Kapitel früher heißt es in der Bergpredigt noch: Selig sind die Frieden stiften. Liebet eure Feinde (Mt 5,44). Segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen. Und wer dich auf die Backe schlägt, dem biete auch die andere dar … u.s.f. (Lk 6,27ff.) Wie passt das bitte zu dieser Passage? Ich zitiere sie nochmal:

 

Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, um Frieden auf die Erde zu bringen, sondern ich bin gekommen, um das Schwert zu bringen. Ich bin gekommen, um Kinder von ihren Eltern zu entzweien, die Tochter von ihrer Mutter, die Schwiegertochter von ihrer Schwiegermutter (interessant, dass er hier die Frauen ins Zentrum rückt). Das sind krasse Ansagen, extrem provozierend!

 

Die neutestamentlichen Wissenschaftler haben dazu Erklärungen, die uns ein wenig weiterhelfen. Zunächst sagen sie, dass Jesus diese Worte nicht an eine große Volksmenge richtet, sondern nur an seine Jünger, an seine engsten Freunde. Das Wort vom Schwert spiegelt möglicherweise die „einschneidende“ und schmerzhafte Erfahrung wider, die sie alle gemacht haben, als sie ihre Familien verlassen und auf Wanderschaft begeben haben. Es ist ein Sinnbild für die Entzweiung, die sie provozierten. Jesus und seine Jünger haben sich herausgerissen aus ihren Familienbanden, sich von den Eltern abgewandt, zum Teil Frau und Kinder zurückgelassen und ihrem Leben einen neuen, anderen Sinn gegeben. Das muss sehr schmerzhaft gewesen sein - für beide Seiten.


Man kann es vielleicht mit der Erfahrung von Jugendlichen während der Pubertät und einer späteren Ablösung junger Erwachsener von ihren Elternhäusern vergleichen: Sich von etwas oder jemand zu lösen, mit dem man mal eine Einheit war, dem man unendlich viel verdankt, tut unendlich weh. Diese Trennungs-Prozesse sind quälend, aber notwendig, weil sie junge Menschen in eine Freiheit und Selbständigkeit führen, die anders nicht zu haben ist. Manchmal müssen schmerzhafte Schnitte getan werden, damit unser Leben heil werden kann, wie bei einem chirurgischen Eingriff beispielsweise.

 

Auf unserem Pastorenkonvent diese Woche berichtete ein Pastor, der einige Jahre in China gelebt hatte, von Menschen, die dort zum christlichen Glauben übertreten. Das sind oft radikale Einschnitte in ihr Leben, die mit der Gefahr verbunden sind, aus dem Familienverband ausgestoßen oder dann noch von der Regierung verfolgt zu werden. Sie nehmen tatsächlich ein Kreuz auf sich, so wie es in unserem Text weiter heißt: Sie brechen mit ihrer Vergangenheit, um eine neue Zukunft zu finden. Sie riskieren dabei ihr Leben. Aber, wer es verliert um seinetwillen, sagt Jesus, der wird’s finden.

 

Diese Radikalität beeindruckt mich einerseits, aber sie befremdet mich auch. Ich bezweifle, dass ich den Mut dazu hätte, und bin dankbar dafür, nicht in einer Diktatur oder in einer solchen Krisenzeit zu leben. Aber, liebe Gemeinde, viele Menschen, insbesondere junge Menschen erleben unsere Gegenwart genauso, als Krisenzeit, die radikale Einschnitte fordert. Denken sie z.B. an Greta Tunberg und die Fridays for Future-Bewegung. Sie hat nicht nur sehr gute wissenschaftliche Argumente und messerscharfe Analysen für ihre Forderung nach einem fundamentalen Wandel, sie hat auch die nötige Energie und Leidenschaft, um unsere Gesellschaft entsprechend herauszufordern und zu provozieren: Wenn wir den Klimawandel noch stoppen und diesen Planeten retten wollen, dann müssen wir jetzt umkehren!

 

Ich möchte ihren Blick zum Schluss noch einmal auf Jesus richten, liebe Gemeinde. Seine Radikalität, seine Aufforderung zur Feindesliebe, seine Forderung, das Kreuz auf sich zu nehmen und die Sache Gottes über das eigene Leben zu stellen, lösen zweierlei Reaktionen in mir aus: Zum einen überfordern sie mich, denn ich kann sie nicht erfüllen. Ob ich damals zu Jesu Jüngerinnen gehört hätte? Ich weiß es nicht.  

 

Auf den zweiten Blick jedoch, kann ich diesem Text viel abgewinnen. Denn er stellt jene einseitigen und verharmlosenden Vorstellungen von einem allzeit gütigen und sanften, und damit auch irgendwie zahnlosen Jesus in Frage. So war er nicht, so konnte er nicht gewesen sein. Denken wir nur an die zahlreichen Streitgespräche mit Pharisäern und Schriftgelehrten. Darin provozierte er seine Gegner bis aufs äußerste, denn daraufhin heißt es immer wieder: Sie suchten nach einer Gelegenheit, ihn umzubringen. Das klingt nicht nach einem konfliktscheuen oder harmoniesuchenden Gesprächspartner. Jesus legte sich immer wieder mit Repräsentanten der politischen und religiösen Macht an, gewaltfrei aber doch in unüberbietbarer Schärfe (GPM, 528). Er suchte den Konflikt und auch den Bruch mit seiner Familie und mit den religiösen Konventionen seiner Zeit.

 

Das war sein Weg, es muss nicht der unsrige sein. Er trug damit sein Kreuz für uns, um uns aufzurütteln, zu irritieren und zu verstören, aber auch zu bewegen und zu begeistern, um uns zu fragen: Und wo stehst Du? Wofür setzt Du Dich ein? Wem vertraust Du und worauf hoffst Du? Wen liebst Du und für wen würdest Du dein Leben geben? Die Antwort darauf, liebe Gemeinde, kann nur jede und jeder hier selber geben. Manchmal finden wir sie erst nach Auseinandersetzungen und Brüchen, inneren oder äußeren Konflikten. Sie sind und bleiben Teil allen Lebens, an dessen Ende erst der Friede sein wird, nach dem wir uns so inniglich sehnen: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft.

 

Amen.

 

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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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