Predigt am 28. November 2021 – 1. Advent

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

Jeremia 23, 5-8 „Siehe, es kommt die Zeit…“

 

 

Liebe Gemeinde,

 

siehe, es kommt die Zeit
da wird die Pandemie vorüber sein und wir werden das Leben feiern
da werden wir uns um Einlassbedingungen, Tests und Masken nicht mehr kümmern müssen
da werden wir uns wieder in den Armen liegen, die Hände reichen und uns in den Kirchenbänken aneinander kuscheln
das werden wir große Partys schmeißen, aus vollem Halse singen und unbeschwert tanzen
da werden alle gesellschaftlichen Spaltungen überwunden sein und wir werden ein Volk sein
da werden überall Recht und Gerechtigkeit einziehen
da werden Grenzzäune abgebaut und Fluchtrouten überflüssig sein
da werden wir nicht mehr von Krisen und Katastrophen geplagt, sondern schmunzelnd Max Frisch zitieren: „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen“…  
da wird ein neuer Himmel und eine neue Erde wirklich und wahrhaftig sein und Gott wird bei uns wohnen und abwischen alle Tränen von unseren Augen …

 

So könnte es klingen, liebe Gemeinde, wenn der Prophet Jeremia uns heute die neue Zeit ansagen würde: Siehe, es kommt die Zeit…, eine neue Zeit, eine andere Zeit, eine bessere Zeit! Danach sehnt sich unser beschwertes Herz und unsere zerrissene Welt. Danach sehnen sich alte und junge, arme und reiche, mächtige und machtlose. Diese Sehnsucht empfinde ich in diesem Jahr stärker denn je, denn es ist ja so frustrierend, dass wir offenbar aus den Fehlern des vergangenen Jahres fast nichts gelernt haben, sondern dem unsichtbaren Virus immer noch ausreichend Raum geben, um sich rasant zu vermehren und viel zu vielen Menschen die Luft zum Atmen zu nehmen. Es ist so enttäuschend, dass in diesem Advent wieder alle betrieblichen Weihnachtsfeiern abgesagt werden, viele Kitakinder und Schulkinder wegen Ansteckungsgefahr nach Hause geschickt werden und Menschen erneut in die Isolation entlassen werden: wochenlang im Homeoffice – das macht sehr einsam. Am bittersten aber ist, dass über 100.000 Menschen mittlerweile allein in Deutschland am Corona-Virus gestorben sind – das ist so traurig und so schrecklich, vor allem, weil es nicht hätte sein müssen, wenn wir anders gehandelt hätten.

 

Dieser 1. Advent-Gottesdienst könnte also auch ein reiner Klage-GD werden, liebe Gemeinde, wäre da nicht diese himmlische Hoffnung, diese wunderbare Verheißung:
„Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird…“

 

Drei Mal wird in diesem Text des Propheten Jeremia die neue Zukunft angesagt, mitten hinein in eine Zeit größter Unsicherheit und Not. Die Bewohner Israels und Judas wurden unterdrückt und ins Exil verschleppt. Recht und Gerechtigkeit wurden mit Füßen getreten. Die Wahrung von beidem galt damals als die vornehmste Aufgabe des Königs. Dazu hatte Gott ihn eingesetzt. Aber die Regierenden im In- und Ausland versagen vor ihrer Aufgabe. So konnte es nicht weitergehen! Eine Wende, eine neue Zeit musste kommen, unbedingt, sofort!

 

Ich höre Eure Stimmen, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Jugendliche. Ich höre Euer Drängen und Fordern: Wir brauchen eine Wende in der Klimapolitik, jetzt, sofort. Wir geben uns mit den Ergebnissen aus Glasgow nicht zufrieden und mit dem Koalitionsvertrag der drei Regierungsparteien auch nicht. Unsere Situation ist dramatisch, ich stimme Euch zu. Im letzten Jahr ist unmissverständlich deutlich geworden, dass niemand die weltweiten Krisen beherrscht, die uns überrollen, kein weltlicher König, keine Präsidentin, kein Parlament, keine Wissenschaftlerin. Das ist schon krass: Niemand hat das Klima im Griff. Niemand kann die Migration steuern. Niemand hat das Virus unter Kontrolle. Niemand kann vorhersagen, welche Folgen die Pandemie noch mit sich bringen wird. Wird das alles noch ein gutes Ende nehmen? Was meint ihr, was meinen Sie, liebe Gemeinde? Wird es gut ausgehen mit uns Menschen? Ist diese Welt noch zu retten?

 

Der Prophet Jeremia würde uns sagen: Da geht noch was, oder da kommt noch jemand. Gott schickt uns einen Spross, einen einzigartigen Menschen, einen der die Welt verändern wird, von Grund auf. Und der Prophet Sacharja ergänzt: Nicht wie ein pompöser Herrscher wird er auftreten, sondern ganz anders, auf einem Esel wird er reiten, ohne Krone, ohne Purpur, ohne Schwert. Es ist Jesus von Nazareth: Er ist gerecht ein Helfer wert, Sanftmütigkeit ist sein Gefährt, sein Königskron ist Heiligkeit, sein Zepter ist Barmherzigkeit, all unsre Not zum End er bringt … Siehe, es kommt die Zeit! Da geht noch was, viel mehr als ihr euch vorstellen könnt!

 

Und Jeremia fährt fort: Da werdet ihr euch an vergangene Rettungen erinnern, daran dass Gott euch aus Ägyptenland und der Sklaverei befreit hat, daran dass Gott sein Volk seit der Sintflut nie im Stich gelassen hat. Ja, und es wird die Zeit kommen, da werden Eure Nachkommen, die über viele Länder verstreut leben, zusammenkommen und an einem Ort sicher wohnen. Da werden die Hungernden satt, die Weinenden lachen, die Kranken heil und die Toten wieder lebendig werden. Da werden wir sein wie die Träumenden. Siehe, es kommt die Zeit!

 

Ich habe Freunde, die steigen an dieser Stelle aus, liebe Gemeinde. Die gehen da nicht mit, die halten solche Verheißungen für naive Träumerei, schöne Worte, eine Illusion. Sie sagen, mag sein, dass dir das hilft, aber nenne mir einen stichhaltigen Grund, warum ich daran glauben soll, mein Herz daran hängen soll! Die Menschen vor den Toren Jerusalems, sie jubelten Jesus zu, als er auf dem Esel in die Heilige Stadt einzog. Aber schon ein paar Tage später haben sie ihn verspottet, verurteilt und gekreuzigt. Der Sohn Gottes, ein Retter, einer, mit dem die neue Zeit beginnt? Sag mir Wie? Zeig mir Wo? Sag mir wann?

 

Diese Zeit beginnt heute, hier und jetzt. In diesem Moment, wo wir zusammen sind und diese Worte hören und in uns aufnehmen: Gott kommt und kümmert sich, um uns und um diese Welt. Er kommt in Jesus Christus, der mit seinen Worten und Taten Gerechtigkeit übt, Menschen ins Recht setzt, aufrichtet und ermächtigt, tröstet und stärkt, heilt und versöhnt. Er ist ein Retter und ein Helfer, damals und heute. Denn er liebt und hofft und kämpft für das Rechte und Gute allen Widerständen zum Trotz. Damit gewinnt er die Herzen derer, die bis heute mit ihm lieben und hoffen und für eine gerechte Welt kämpfen. Unsere Hoffnung hat einen Grund, der trägt. Es ist dieser Mensch, in dem Gott selbst uns begegnet. Er ist der Grund unserer Hoffnung.

 

Daran zu glauben, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gemeinde und Freunde, ist gewiss ein Wagnis, und mein Konfirmator (eigentlich ein sonderbarer Pastor, mit dem ich oft nicht übereinstimmte), er hat mich überzeugt, dieses Wagnis einzugehen: Versuch es einfach, hat er gesagt. Vertrau darauf, dass Gott in allen Unsicherheiten deines Lebens und Unwägbarkeiten des Zukünftigen bei dir ist. Seitdem kommt meine Hoffnung auf die Zukunft nicht mehr aus mir selbst, sie hat einen weiterreichenden Grund. Sie kommt von Gott, der sich um uns kümmert und der etwas mit uns und dieser Welt vorhat. Und deswegen sag ich`s nochmal aus vollem Herzen:

 

Siehe, es kommt die Zeit
da wird die Pandemie vorüber sein und wir werden das Leben feiern
da werden wir uns um Einlassbedingungen, Tests und Masken nicht mehr kümmern müssen
da werden wir uns wieder in den Armen liegen, die Hände reichen und uns in den Kirchenbänken aneinander kuscheln
das werden wir große Partys schmeißen, aus vollem Halse singen und unbeschwert tanzen.

 

Amen!

 

 

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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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