Predigt am 19. Dezember 2021 – 4. Advent

Pastor i.R. Sebastian Borck

Noch manche Nacht wird fallen, doch euch hält kein Dunkel mehr

 

Die Nacht ist vorgedrungen … Jochen Klepper hat sein Lied am Nachmittag vorm 4. Advent 1937 geschrieben. Er war ein bekannter und erfolgreicher Schriftsteller. Gerade hatte er seinen Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig, den Vater Friedrichs des Großen, veröffentlicht. Er war Theologe und evangelischer Liederdichter. Verheiratet war er mit einer Jüdin, die als Witwe 2 Töchter mit in die Ehe gebracht hat. Um ihretwillen wurde auch er im nationalsozialistischen Deutschland verfolgt und mit Veröffentlichungsverbot belegt. Die ältere Tochter konnte ins Ausland fliehen. Als der jüngeren Tochter 1942 die Emigration verwehrt worden war, hat er mit seiner Familie keine Zukunft und keinen Ausweg mehr gesehen. Dem Abtransport seiner Frau und seiner Tochter ins KZ zuvorkommend sind sie drei in der Nacht auf den 11. Dezember 1942 in den Tod gegangen. Nach dem Krieg ist Jochen Klepper bekannt geworden mit den Tagebuchaufzeichnungen 1932 bis 1942 "Unter dem Schatten deiner Flügel".


Das geistliche Lied Die Nacht ist vorgedrungen … hat gleich 1938 durch den thüringischen Kirchenmusiker Johannes Petzold ein charakteristisches musikalisches Gewand bekommen und ist dann sehr schnell bekannt geworden.


Ich mag dies Lied, weil es das Dunkel nicht wegwischt, sondern erstmal akzeptiert. Das Lied hat die Kraft, dass ich darin mit allem Unheil geborgen bin, ohne dass ich's erstmal erklären müsste. Und es bringt mich in Verbindung mit dem Hellen, das kommt. Licht ist am Horizont.


Man kann nur ändern, was angenommen ist – deshalb tut das Lied so gut. Liebe Gemeinde, was immer gerade ist: Trauer und Angst, Sorgen und Bedrängnis, Einsamkeit, Zweifel, was immer gerade auf der Seele liegt, hat Raum, ganz nüchtern. Es ist nicht so, dass der Glaube vor dunklen Zeiten bewahrt. Nein, umgekehrt: In dunklen Zeiten ist Glaube möglich.


Und seien wir doch ehrlich, auch wenn wir's nicht ganz wahrhaben wollen: Solange der Pandemie nicht weltweit beigekommen wird, wird uns weiter Mutation um Mutation erreichen und neuerlichen Schutz erfordern. So rasch wird diese Heimsuchung nicht überwunden sein.


Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld, dichtet Jochen Klepper.

 

Haben wir schon genug gelernt?

  • Wie der Schutz für uns selbst und der Schutz für andere zusammmenhängen?
  • Die Verwundbaren zuerst.
  • Dass zum Lebensschutz trotz aller Gefahr auch Gemeinschaft unerlässlich ist, am Ende des Lebens wie am Anfang des Lebens für die Kinder?


Haben wir schon genug gelernt?

  • Wie wir es aushalten können, noch viel zu wenig zu wissen und über Entwicklungen nicht zu verfügen?
  • Wie Verwundbarkeit, Endlichkeit und Sterben zu unserem Leben dazugehören?
  • Dass Befunde sich immer wieder ändern und dass, was richtig war, auch veralten kann, so dass Maßnahmen verändert und angepasst werden müssen, z.B. die nötige Impfquote.


Haben wir schon genug gelernt?

  • Über Natur und Schuld: dass in der Natur Viren freie Bahn bekommen, weil zuvor abgeschlossene Lebensräume von Menschenhand bedroht werden.
  • Über Entdeckungen und Schuld: dass Neuentwicklungen trotz öffentlicher Förderung privat und abgeschottet bleiben, statt für die Menschen dort auf der Welt, wo's nötig ist, zur Verfügung gestellt zu werden.
  • Über Kooperation und Schuld: dass Machtstreben nicht hinreichend Schutz gewährt und dass Schutz und Überwindung überhaupt nur möglich werden in der Bereitschaft und auf der Basis von Kooperation.


Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.


Jochen Kleppers Lied lehrt genau hinsehen, wahrnehmen und auf kleine Anfänge schauen: Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr. Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf!


Es ist die Erfahrung, dass nur auf der Basis von Nüchternheit Neues wachsen kann. Sind die ärmlichen Verhältnisse erstmal akzeptiert; was falsch läuft, nicht mehr verschwiegen; das bedürftige Kind erkannt, ist – so die Botschaft – Rettung möglich.


Von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her. Weil Gott die Menschen, die Welt anders ansieht, auf ihre Fehlentwicklungen nicht festgelegt, zu naturschonendem und gemeinschaftstreuem Verhalten bestimmt, weil Gott sich zeigt als Kind, als Sohn, als Leidender gegen das Leid, darum ist erschienen mitten im Dunkel das Licht, in der Mitte der Nacht des neuen Tages Anfang.


Es ist ein Bündnis, das uns gilt. Es nimmt unsere Sehnsucht auf und verbindet uns mit dem Licht. Es lässt uns entschieden und beherzt tun, was möglich ist.


Noch manche Nacht wird fallen, doch euch hält kein Dunkel mehr!

 

Amen.

 


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