Predigt zum neuen Jahr, am 2. Janaur 2022 – 1. Sonntag nach dem Christfest

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

„Alles auf Anfang?“ 1. Joh 1, 1-4

 

Liebe Gemeinde,

 

möglicherweise haben Sie über die Festtage mal wieder Gesellschaftsspiele gespielt. Z.B. Klassiker wie „Mensch ärgere Dich nicht“ – das läuft prima mit kleinen Kindern. Oder Monopoly mit größeren? In beiden Brettspielen kann man Pech haben und rausgeschmissen werden: Zurück aufs Startfeld oder zurück auf „Los“, heißt es dann, und man muss mit seiner Figur wieder von vorn anfangen. Manchmal wirft einen das um Runden zurück und man ärgert sich wirklich fürchterlich. Manchmal aber verschafft einem der Neustart auch Vorteile, weil man nun eine gegnerische Figur vor sich hat, die man schon lange aus dem Feld schlagen wollte, oder weil man erneut Anlauf nehmen kann auf eine lukrative Straße, die man bei Monopoly bisher noch nicht erwerben konnte. Also, „alles auf Anfang“ kann Unterschiedliches bedeuten. Der Anfang kann ziemlich anstrengend, aber auch äußerst chancenreich sein.

 

Wie sieht Ihr Jahresanfang aus, liebe Gemeinde? Mit welchen Gedanken und Gefühlen starten Sie 2022? Freuen Sie sich auf neue Perspektiven, neue Möglichkeiten, auf berufliche Veränderungen vielleicht oder auf besondere familiäre Anlässe in diesem Jahr? Gehören Sie zu denjenigen, die trotz Corona ihre Reise-Pläne schmieden und darauf bauen, dass wir bald wieder mehr Freiheiten haben werden? Oder gehören Sie zu denen, die erstmal abwarten, die Vorsicht walten lassen, einen nächsten Lockdown erwarten und sich daher zunächst auf weitere Einschränkungen einstellen? So wie letztes Jahr? Fangen wir in pandemischen Zeiten wirklich neu an, oder setzen wir nur fort bzw. holen nach, was wir im vergangenen Jahr nicht vollenden konnten?

 

Immerhin: Noch ist der Kalender nicht gefüllt, noch sind da wunderbar freie weiße Felder, noch kann ich in dieses Kalenderjahr tatsächlich neugestalten, kann alte oder neue Vorsätze wahrmachen. Was ich immer schon ändern wollte in meinem Leben - jetzt wäre der Zeitpunkt. Haben Sie Ihre Neujahrsvorsätze und -ziele schon aufgeschrieben, liebe Gemeinde? Wie wird es werden? Was dürfen wir erwarten? Was müssen wir befürchten? Wie fangen wir dieses Jahr an?

 

Hier und heute mit einem Blick auf den biblischen Anfang im 1. Brief des Johannes: Beschrieben wird der Anfang des Lebens Jesu mit ganz anderen Worten als wir ihn aus den Geburtslegenden kennen. Er wird in einen großen Zusammenhang gestellt, mit Anklängen an die Schöpfungsgeschichte, in der es heißt: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, oder im Johannesevangelium, wo steht: Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Hier nun: Von Anfang an war das Wort des Lebens, das ewig ist und beim Vater war und uns erschienen ist. Das Leben, das ewig ist, Gottes Leben, ist auf Erden erschienen. In einem Kind beginnt Gott eine neue Geschichte mit den Menschen, lässt sich unter uns sehen, kommt auf uns zu, spricht uns an, ermutigt und bestärkt uns in zu einem neuen Leben.
Alles nimmt seinen Anfang bei Gott. Auch dieses noch junge Jahr schenkt er uns und lässt uns neu beginnen. Nicht mit Furcht, sondern mit Hoffnung, nicht mit Stillstand, sondern mit Aufbrüchen, sind mit Zaudern und Zagen, sondern mit Zuversicht und Gottvertrauen.

 

Davon erzählt die Geschichte von Simeon, der das Glück hatte, dem Kind Jesus zu begegnen, als dieses von seinen Eltern zum Tempel gebracht wurde. Er nimmt Jesus auf den Arm, sieht ihn an und erkennt den Retter und Heiland der Welt. Ebenso ergeht es der Prophetin Hanna, auch sie war schon hochbetagt und diente Gott beim Tempel in Jerusalem Tag und Nacht. Auch sie sieht Jesus und ist erfüllt von der befreienden und erlösenden Kraft, die von ihm ausgeht.
„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“, spricht Jesus in der Jahreslosung für 2022. Sie bringt auf den Punkt, wofür Jesus gelebt hat: Für ein vorbehaltloses Willkommen, für die Erfahrung angenommen zu sein, so wie man ist, für Gottes bedingungslose Liebe zu den Menschen. Simeon und Hanna sind die ersten, die in diesem anfangenden Leben erkennen, wer Jesus ist und welch eine Verheißung in ihm liegt. Darüber freuen sie sich von Herzen und loben Gott für sein Kommen auf Erden.


Es ist eine Woche her, da haben wir es ebenso getan und mit weihnachtlichen Liedern und Texten über die Geburt des Christkinds gestaunt: Welch ein wunderlicher Anfang dort in einer Krippe, nachts im dunklen Stall. Welch ein Zauber liegt über diesem Ort, mit seligen Hirten und singenden Engeln und einem leuchtenden Stern über ihnen. Der Anfang eines neuen Abschnitts der Geschichte Gottes mit den Menschen, der Anfang eines neuen Glaubens.
Die ersten Tage im neuen Jahr sind für mich auch ein Anlass, über Gottes Anfang mit mir nachzudenken und neu nach Gott zu fragen. Wann und wodurch hat Gott mich angesprochen? Wann und wie bin ich zum Glauben gekommen? Wie stehe ich heute da? Erkenne ich sein Wirken unter uns? Höre ich seine Stimme, spüre ich seine befreiende Kraft? Nehme ich dieses Jahr aus seiner Hand und sehe, welche Verheißung für uns, für dich und mich, für unsere Welt darin liegt?

 

Anfängen liegt ein Zauber inne, und eine Vision, wie es sein könnte, wie es werden könnte 2022: Was dürfen wir erwarten? Was müssen wir befürchten? Wie fangen wir dieses Jahr an? Was wollen wir anpacken und verändern? Was nehmen wir uns vor? Wie werden wir davor bewahrt, uns zu übernehmen, zu überfordern, zu viel voneinander zu verlangen? Wie finden wir das rechte Maß für die Anfänge, die vor uns liegen?
Die Antworten auf diese Fragen werden so verschieden sein, wie wir Menschen heute hier in St. Katharinen und Sie, dort am Bildschirm. Die Antworten geben Sie mit Ihren persönlichen Anfängen 2022.

 

Als kleine Anregung dazu habe ich einen Text von Marco Michalzik mitgebracht, einem Wortkünstler, Lyriker und Songwriter aus Darmstadt. Er vermittelt in seinem Text eine Leichtigkeit und Kreativität, die wir in diesen Zeiten gut gebrauchen können und macht Lust auf mehr: 363 Anfänge, neue Tage, in denen vieles, sehr vieles möglich ist…

 

Der Text trägt den Titel „Lass ma“ (aus: Alles wird ein bisschen anders)

 

Lass ma so tun als wären wir nicht oft frustriert,
lass ma so tun als würden wir glauben, dass es doch anders wird,
und wir würden ebendiesen nicht ständig verlieren.

 

Lass ma so tun als wär das Ziel erreichbar.
lass ma so tun als wäre das sogar einfach.
lass ma zugeben, dass uns das maßlos überfordert.
lass ma einander zusagen, dass ist dann auch in ordnung.
lass ma so tun als gings um mehr als gutes gewissen.
lass ma der teil des problems sein, der um Lösungen ringt.
Lass ma so tun als würds nicht wehtun, sich ständig selbst zu hinterfragen.
Lass ma so tun als ob wir wirklich wüssten, dass wir die antworten nicht haben.

 

Lass ma so tun als wärs nicht nervig, sich ständig auf die füße zu tappen, bis alle denken, wir hielten den Takt nicht und könnten nicht tanzen.

 

Lass ma leuchten.
Lass ma so lichtsachen machen.
Lass ma suchen und graben.
Lass ma viel mehr kapieren, wie sich so ein gesamtbild aus einzelnen pixeln summiert.

 

Lass ma dinge lassen.
lass ma dinge nicht mehr lassen.
lass ma lieben.
lass ma lieben lassen.
lass ma so tun, als ob das echt ne option wäre.
lass ma sagen, wofür und nicht nur ständig, wogegen.

 

Lass bleiben.
lass ma nicht sofort gehen.
lass ma dauerhaft denken.
lass ma wirklich durchziehen.

 

Und ich ergänze: Lass ma Schluss machen für heute und allen ein gutes Neues Jahr wünschen. Amen!

 

 


Fürbittgebet

 


Großer Gott,

 

wir schauen dem neuen Jahr entgegen, erwartungsvoll oder sorgenvoll. Deine Gnade hat uns schon durch manche Jahre geführt und sie verlässt uns nicht, wie unsere Wege auch immer aussehen werden.

 

Wir bitten dich: Hilf uns Frieden zu schließen mit dem Vergangenen und frei zu werden für das, was kommt.

 

Wir bitten dich für alle Menschen, die vor großen Veränderungen stehen, aus eigener Entscheidung oder unfreiwillig. Gib ihnen Kraft und Zuversicht. Lass sie spüren, wie neue Aufgaben und Lebensumstände auch Neues in ihrem Herzen wachrufen, damit sich ihr Leben weiterentwickelt und sich entfaltet, was in ihnen steckt.

 

Wir bitten dich für alle, die schwere Wege vor sich haben:
für Menschen auf der Flucht, in Krisen und Kriegsgebieten,
für Menschen, die von schwerer Krankheit bedroht sind, und für Menschen in Trauer – tröste und erneuere sie mit Deiner Nähe und Liebe.
Wir bitten dich für alle, die Verantwortung tragen, in den Krankhäusern und auf den Pflegestationen, in der Nothilfe und in der Seelsorge, in der Politik und in den Parlamenten. Schenke ihnen die Kraft zum Frieden, zum Respekt vor einander und zur gemeinsamen Achtung vor der Schöpfung.

 

Für die Menschen, die uns persönlich am Herzen liegen, beten wir in der Stille …

 

Gott, erhöre unsere Bitten um Jesu Christi willen.

 


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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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