Predigt am 18. Oktober 2020 - 19. Sonntag nach Trinitatis

Pastor i.R. Sebastian Borck

 

Erneuert euch in eurem Geist
und zieht den neuen Menschen an!

 

Was ist das für eine präzise Zeitansage, liebe Gemeinde, dieser Vers aus dem Epheserbrief (Eph 4,23f)! Allenthalben erneuerungsbedürftig sind wir, das wird vorausgesetzt, nicht nur allgemein, sondern auch in unserm Geist und Sinn, in unserem Denken. Wie wir leben, trägt nicht mehr. Bequem mag es noch sein. Aber es ist falsch und macht schlechtes Gewissen. Spätestens wer sich ein neues Auto anschaffen will, merkt das: Diesel, Benziner geht nicht mehr. Umdenken ist angesagt. Nicht mehr mit Veraltetem die Klima-Bilanz noch mehr verschlimmern, sondern sich mit Erneuerung bewegen.


Erneuert euch in eurem Geist. Sich am eigenen Schopf aus dem Falschen ins Neue zu ziehen versuchen? – Nach Münchhausen klingt das und auch so, dass es nie genug gelingen wird. Keine wirkliche Erneuerung im Geist.

 

So sehr sind wir im Bisherigen verfangen, können da nicht einfach raus, selbst wenn wir wollten. Unser ganzes Denken, unser Wirtschaften, unser Auskommen, unsere Hoffnungen – alles ist programmiert und gegründet auf Verbesserung, auf stetiges Wachstum. So sind wir aufgewachsen,dass unsere Eltern alles darauf ein- und ausgerichtet haben, dass wir es einmal besser haben: bessere Bildung, bessere Berufsausbildung, Studium, eine einträglichere, verträglichere Arbeit, besseres Leben eben.

 

Inzwischen aber wächst die Zahl derer, die jedes Jahr schlechter dastehen, die nicht voraussetzen können, dass ihre Kinder es mal besser haben werden. Ohne Hoffnung haben sie sich eingerichtet, dass es nicht besser geht, und versuchen festzuhalten, was sie haben. Während andere ihr Ding machen, weltweit verbunden, immer weiter, bleiben sie von solchen Entwicklungen abgehängt. Die Gesellschaft ist gespalten: die einen immer schneller, die anderen dazu genötigt, zu bleiben, wo sie sind, und festzuhalten, was Ihres ist. – Wie soll da Erneuerung und die Bereitschaft dazu entstehen?

 

Noch dazu eine Erneuerung im Geist, also eine, die die Vorzeichen radikal ändert: kein quantitativesWachstum mehr, kein Immer-Schneller, Immer-Höher, Immer-Weiter, allenfalls – und das mit neuer Intensität: qualitatives Wachstum, Verbesserung der Qualität, vor allem in Richtung Nachhaltigkeit. Kein Verbrauch mehr, der nicht in den Kreislauf zurückgeführt wird. Keine Zerstörung mehr, die nicht zugleich Erneuerung bringt. Keine Ausbeutung mehr, die nicht zugleich Rekreation erwirkt.

 

Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Die Ziele sind klar. Um die Wege dahin wird gestritten. Noch lange nicht geschieht genug – wir wissen das alle, und Fridays for Future sind die öffentliche Erinnerung daran. Dass Veränderungen anstehen, weit mehr als bisher, ist klar – nur unser Festhalten am Vertrauten steht dem entgegen.

 

Erneuert euch in eurem Geist! heißt da: Gebt euch einen Ruck! Reißt das Fenster auf! Verlasst die gewohnten Bahnen, stellt eure Denkgewohnheiten infrage. Übt euch in neuem Denken. Denkt weiter. Kein Augen-Verschließen mehr vor den Konsequenzen! Ganz in diesem Sinne hat Maja Göpel ihr Buch geschrieben: "Die Welt neu denken – eine Einladung"; sie wird in Hamburg ein neues Institut dazu leiten, das gerade hergerichtet wird.

 

Ja, neues Denken, Durchlüften, die Aufforderung dazu haben wir nötig! Es ist dran, dass wir aufbrechen und uns bewegen – trotz Corona. Ja, auch während Corona uns noch mal wieder mehr bedrängt. Hat das Handeln gegen Corona doch gezeigt, zu wieviel Veränderung wir in der Lage sind! Doch von uns selbst kommt noch zu wenig. Darum ist es richtig, dass wir aufgefordert werden: Erneuert euch in eurem Geist!

 

Und dann die eigentümliche Aufforderung: Zieht den neuen Menschen an! – Was für ein Bild!

 

Genau besehen ein freundliches Bild: Du sollst dem anderen die Wahrheit nicht wie ein nasses Tuchum den Kopf schlagen, sagt Max Frisch, sondern wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschlüpfen kann. Ja, wie ein Mantel kann das Neue sein, in das wir einsteigen können und es ausprobieren. Das neue Sein in Christus. Mit dem Mantel der Erneuerung angetan, dürfen wir als veränderte Menschen in Erscheinung treten und uns üben in neuem Geist.


Für die Situation, in der wir stecken, ist das eine sehr menschenfreundliche Vorstellung. Sie rechnetgnädig damit, dass uns das Neue noch fremd ist. Sie weiß um die Differenz, dass wir noch die Altensind. Sie weiß, dass wir noch gewohnt sind, Raubbau zu betreiben. Sie weiß, dass grundlegende Veränderungen nicht auf einmal, sondern nur Schritt für Schritt erfolgen. Sie rechnet mit unserer Versuchlichkeit, so wie Jesus in der Wüste versucht worden ist: Steine zu Brot, alle Macht der Welt,die Grenzen und die Schwerkraft der Welt überwinden. Aber so, wie Jesus Treue zur Welt gelebt hat, so sollen, so können wir es auch tun: Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. Erneuert euch in eurem Geist und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.

 

Wir leben gefährlich, als gefährdender Teil der Natur, in der Gefahr, durch unsere Begierden (nicht unbedingt unsere persönlichen, aber doch gesellschaftlich insgesamt) die Lebensgrundlagen zugrunde zu richten und unsern Kindern eine tiefgehend gestörte Welt zu hinterlassen. Aber die Veränderung, die Erneuerung ist uns schon eingestiftet. Im Alten Testament gibt es ein wunderbares Wort dafür: Gerechtigkeit – zedaqah – Gemeinschaftstreue. Es ist die Gemeinschaftstreue Gottes in Christus mit uns, die uns befähigt, in unseren Beziehungen zu anderen, zur Welt um uns herum, zur Natur, zu uns selbst, zu Gott Gemeinschaftstreue aufleben und lebendig werden zu lassen.

 

Dann tauschen wir Zerstörung gegen Förderung der natürlichen Zusammenhänge ein. Dann richtenwir nichts mehr ein, was dann auf Jahrtausende beschützt und gesichert werden muss. Dann sind wir darauf aus, gemeinsam das Zusammenwirken voranzubringen – statt einsam gegen alle andern die eigene Macht. Dann wirken wir darauf hin, dass jede und jeder sicher wohnen kann – nicht nureinige, die andern zerstörerisch in Abhängigkeit stürzend. Gemeinschaftstreue ist ebenso wie familiär so für die Weltinnenpolitik ein kluges reales Ziel.

 

Bruder der Gemeinschaftstreue ist der shalom. Biblisch ist damit nicht ein kalter Friedensschluss, ein bloßes Schweigen der Waffen gemeint (auch wenn das in vielen Gegenden der Welt schon dringend nötig wär). Vielmehr geht es um ein umfassendes ganzheitliches Leben-und-sich-miteinander-entfalten-Können. Der neue Geist und der neue Mensch haben durchaus etwas mit Wachsen und Gedeihen zu tun. Für den Frieden kennt die Bibel die Vision, dass alle sitzen an einemTisch und volle Genüge haben. Und es geht zu wie in dem Psalm, den wir gesprochen haben: Das Meer braust und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. Die Ströme klatschen in dieHände, und alle Berge sind fröhlich vor dem HERRN.

 

Erneuert euch in eurem Geist und zieht den neuen Menschen an! Eine Zeitansage ist das für uns zur rechten Zeit. Veränderung ist möglich. In Christus hat die Erneuerung schon begonnen. In den Zeichen der Zeit ist es, wie wenn uns der Mantel der Geschichte hingehalten wird.

 

Steigen wir ein! Probieren wir's aus! Machen wir uns auf den Weg!

 

Christus ist mit uns. Amen.

 

 

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