Predigt am 9. Januar 2022 – 1. Sonntag nach Epiphanias

Pastor Frank Engelbrecht

„Gute Neuigkeiten voraus!” (Jesaja 42,1-9)

 

Die Gnade des Vaters, die liebe unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.


Stellt sie Euch vor, die drei Heiligen Könige - Caspar, Melchior, Balthasar - ihre Namen sind nicht biblisch belegt, aber wir bleiben dabei, weil sie uns doch seit Kindertagen ans Herz gewachsen sind. Stellt sie Euch vor, wie sie Bethlehem verlassen. Schon haben sie den Stall und die Gassen dieser Vorstadt Jerusalems hinter sich gelassen und sind durch das Stadttor im Schutz der Dunkelheit hinausgeschlichen. Eigentlich wollten sie mit Jubelgesängen in Jerusalem einziehen, um allem Volk und König Herodes die Geburt des Kindes unter dem Stern in Bethlehem zu verkünden. So war es verabredet. Aber im Traum erreicht sie die Nachricht, nicht zu Herodes zurückzugehen. Der Herrscher führt Böses im Schilde mit diesem Kind, vor dem sie gerade erst am Tage zuvor niedergefallen sind im Gebet, um ihm ihre berühmten wertvollen Gaben zu überreichen: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Jesaja prophezeit: „Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen". So findet die Nachricht von der Ankunft Gottes als Mensch bei uns Menschen auf Erden nicht den Weg auf die Titelseiten der Tageszeitungen. Sie verbreitet sich auch nicht viral, sondern wird bloß Mund zu Mund von ein paar wenig vertrauenswürdigen Gestalten weitergegeben: von den Hirten vom Felde, die allen, die es hören wollen oder nicht, die Geschichte von der engelumleuchteten Nacht und der Geburt im Stall weitererzählen. Aber lasst sie nur reden; was haben diese Vagabunden der Nacht schon zu erzählen? Nicht viel mehr als eine einfache Geburtsgeschichte, wenn wir ihr Schwärmen von den Engeln und ihrem Gesang. Ganz ehrlich: geboren wird täglich und jede Nacht tausendfach und
mehr.

 

Freilich: es ist fraglich, ob wir gut und recht daran tu, die Engel wegzulassen oder zu übersehen, bei der Geburt zu Bethlehem ebenso wie bei jeder Geburt auf dieser Erde. Und doch ist das segensreich, dass das Hirtenwort verhallt. Denn zu viel Presse-Öffentlichkeit wäre lebensgefährlich für den kleinen König. Die Wahrheit seines wie unseres Lebens braucht nicht allein Zeit zum Wachsen, sondern darin auch ein ausreichendes Maß an zärtlicher Heimlichkeit: Nicht umsonst begreift selbst die Mutter nicht, was hier geschieht - wie es übrigens, so vermute ich, den meisten Eltern am Tage der Geburt ihrer Kinder geht, Eltern von Erstgeborenen allzumal: die Geburt neuen Lebens ist nicht sofort zu begreifen, wenn überhaupt je vollständig: „Und Maria bewegte alles dieses in ihrem Herzen!" - und ließ Zärtlichkeit heimlich wachsen bei sich und ihrem Kind: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus."


So schleichen also die drei - nennen wir sie nochmals mit Namen: Caspar, Melchior, Balthasar - so schleichen sie von dannen: heimlich, still und leise lassen sie Stall und Christbaum hinter sich. Allein der Stern steht noch am Himmel, sie wie hier in St. Katharinen der Stern und die Sterne auch noch leuchten in den Epiphanias-Wochen des neuen Jahres. Sie brechen auf; und wir folgen ihnen - mit Weihnachten und dem Licht des Sterns als Stärkung im Rücken auf dem Weg ins Leben der ersten Wochen dieses neuen Jahres.
Dabei malen die Texte des heutigen Gottesdienstes ein Bild, als würde ihnen eine Vision aufgehen, vielleicht des Nachts im Schlaf, wenn sie pausieren auf ihrem Weg, oder oben auf ihren Kamelen, die sie auf den staubigen, langen Wegen müde schaukeln. Die Vision ist dieses Bild des Kindes, jetzt aber kein Kind mehr, sondern ausgewachsen, nicht mehr heimlich, sondern öffentlich an dem Tage der Taufe im Jordan mit Johannes dem Täufer.

 

Und habt Ihr es bemerkt? Die Erzählung der Taufe tritt an entscheidender Stelle in die Fußspuren der Geburtsgeschichte. Hier wie dort ist die Hauptperson, das Kind zu Bethlehem hier und Jesus am Jordan da, nicht Herr des Geschehens. Stattdessen geschieht ihm das Geschehen. Er tritt nicht aus eigner Kraft in die Welt, sondern wird jeweils neu geboren - zweimal: einmal von der Frau Maria, das andere Mal im Geiste Gottes, der wie eine Taube über ihn kommt und mit einer Stimme aus dem Himmel spricht: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe."


Zweimal Geburt. Darin gründet die Erwählung des Auserwählten Gottes: in seiner Natalität. Diesen Begriff hat die Philosophin Hannah Arendt geprägt. Er bezeichnet die Eigenschaft unseres Geborenseins. Das Geborensein, seine Natalität, begründet die Erwählung des Auserwählten Gottes und schlägt eine Brücke zu uns. Denn jede und jeder von uns, wir alle, wer oder was auch immer wir sind, sind bleiben ein Leben lang Geborene und damit auch Auserwählte, auch wenn wir das zuweilen vergessen oder verleugnen - wie das übrigens vermutlich auch Johannes der Täufer, der Erschrickt, als Jesus vor ihn tritt: „Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?" Da spürt der Haudegen und Macher, der Buße predigt und zupackt, um denen, die kommen, den Kopf zu waschen, da spürt er, dass er in seinem Eifer etwas Entscheidendes vergessen hat. Nicht, dass der Auserwählte nicht anzupacken verstünde oder kraftlos sei. Aber seine Kraft ist nicht die Kraft des Schwerts oder der schreienden Rede, sondern die Kraft der Geburt. Alle, die Kinder am Tage der Geburt oder in den schlaflosen Nächten danach kennen, wissen um diese Kraft, die ganze Haushalte und Familien auf Trab zu halten versteht, und auch, wen je der Blick aus den Augen eines Kindes zu rühren oder zu packen vermochte, weiß um diese Kraft.

 

Das aber ist der Ratschluss Gottes, der sich in diesen weihnachtlichen Tagen neu offenbar hat: „ Ich, der Herr, das ist mein Name, ich will. meine Ehre keinem andern geben noch meinen Ruhm den Götzen." Keinem anderen will. Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, die Ehre geben als einem Erwählten, der als Geborener mit der Kraft der Geburt und der Neugeborenen zu uns kommt. Mit dieser Kraft will er uns berühren, aufrichten und heilen. Er will die Augen der Blinden öffnen und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen. „Das geknickte Rohr wird er dabei nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus. 4 Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht der aller Neugeborenen aufrichte bis an alle Enden der Erden. 5 So spricht Gott, der Herr, der Atem gibt und Lebensodem denen, die auf ihr gehen." Atem und Lebensodem wie im ersten Atemholen oder Schrei des Kindes nach der Geburt. Aber wer sind die Götzen, gegen welche Jesaja wettert oder vor denen er warnt? Und wer sind die Heiden, unter die er sein Recht bringen will? Die Götzen, die kommen, wenn wir das Vertrauen in unsere Natalität verlieren, wenn wir die Verletzlichkeit und Machtlosigkeit unseres Geborenseins verfluchen oder zu verstecken oder abzutöten versuchen - wie Herodes und seine Kumpane in uns und an so vielen Stellen in der Welt damals wie heute, vor dem die drei Heiligen Könige sich mit ihrem Geheimnis davonschleichen. Die Götzen, das sind dann die Mächte, Reichtümer und Ideen, zu denen wir fliehen, wenn uns die Poesie des Lebens entrinnt, wenn wir das Talent zum Staunen verlieren und wir keinen Zugang mehr finden zur diebischen oder auch kindlichen Freude über unser Geborensein unter Gottes Stern. Und die Heiden, zu denen der Auserwählte Gottes nach Jesaja und er Auserwählte Gottes kommen, zu denen er sprechen und sie aufrichten will? Die Heiden, das sind wir, wenn uns eben dieses geschieht.

 

Wenn wir ganz und gar trostlos sind in unserem Leben, oder noch mehr: wenn wir uns selbst mitten im Leben absterben. Wenn wir uns nicht länger als Geborene zu verstehen vermögen, sondern uns verurteilt sehen, unser Leben auf den Tod hin leben: ohne den doppelten Boden der frechen Lebensfreude aus der zweiten Geburt, die uns in der Taufe eingeflößt ist - im Glauben zum ewigen Leben.


Woher aber diesen Trost nehmen, fragen die drei Könige - Caspar, Melchior, Balthasar - auf ihrem Weg zurück auf den schaukelnden Rücken ihrer Kamle. Woher diesen Trost nehmen und nicht stehlen? Da erinnern sie sich der Freude über das Lichts des Sterns und der Begegnung mit dem Neugeborenen König, nicht im Schloss, sondern im Stall. Hier ist der Trost, der ihnen und uns aus der Lebenspoesie des Neugeborenen zuwächst. Die Kraft im Anblick des Neugeborenen lässt auch in uns das Wunder unseres eigenen Geborensein neu erwachen. Aber nicht erst in der Geburt, sondern bereits davor, in der Vorfreude, als Capsar Melchior und Balthasar das erste Mal den Stern am Himmel entdecken. Mit Worten des Jesaja. „Ich verkündige Euch Neues; ehe denn es sprosst, lasse ich's euch hören." Oder in der Poesie der Dichterin Nelly Sachs und ihrem Gedicht „CHOR DER UNGEBORENEN'', mit dem wir fröhlich weiterziehen: miteinander und mit diesen Dreien, wie auch immer sie heißen: Caspar, Melchior, Balthasar ...

 


Nelly Sachs: WIR UNGEBORENEN


Schon beginnt die Sehnsucht
an uns zu schaffen
Die Ufer des Blutes weiten sich zu unserem Empfang
Wie Tau sinken wir
in die Liebe hinein.
Noch liegen
die Schatten der Zeit

wie Fragen
Über unserem Geheimnis.
Ihr Liebenden,
Ihr Sehnsüchtigen,
Hört, ihr Abschiedskranken:
Wir sind es, die euren Blicken zu leben beginnen,
In Euren Händen,
die suchende sind
in der blauen Luft -
Wir sind es,
die nach Morgen Duftenden.
Schon zieht uns Euer Atem ein,
Nimmt uns hinab
in Eueren Schlaf
In die Träume,
die unser Erdreich sind
Wo unsere schwarze Amme, die Nacht
Uns wachsen lässt,
Bis wir uns spiegeln
in euren Augen
Bis wir sprechen in euer Ohr.
Schmetterlingsgleich
Werden wir von den Häschern Eurer Sehnsucht gefangen -
Wie Vogelstimmen
an die Erde verkauft -
Wir Morgenduftenden
Wir kommenden Lichter für eure Traurigkeit.

 

Amen

 


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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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