Predigt am 30. Januar 2022 – letzter Sonntag nach Epiphanias

Pastor Frank Engelbrecht

„Verklärt erklärt und himmlisch geerdet" (Exodus 34,29-35)

 

Die Gnade des Vaters, die Liebe unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.


„Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie Licht." (Mt 17,2). „Und als Mose vom Berg Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln des Gesetzes in der Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil mit Gott geredet hatte." Zweimal Verklärung, zweimal Licht als Zeichen der Durchlässigkeit des Himmels für die Erde, erstaunliche Geschichten, aber auch befremdlich. Denn was heißt das: verklärt? Wenn wir jemand als verklärt beschreiben, dann stellen sich leicht die Frage: „Hast du was geraucht? Oder getrunken? Hallo - willkommen in der Realität!" Dieses Befremden beschleicht aber nicht erst uns moderne Menschen, sondern ist so alt wie diese Geschichten selbst. Schaut nur auf die Verwirrung der Jünger, auf Petrus: den die Spannung zwischen Himmel und Erde dermaßen, dass er sie unbedingt auflösen will - klar, in Richtung Erde. Und so spricht er zu Jesus: „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine!" Nichts hat er verstanden. Im lichte der Verklärung geht es nicht ums Sesshaftwerden, und auch nicht darum, Immobilien für die Geistesmächte des Himmels zu errichten, sondern darum, den Schwebezustand zu ertragen, das Dazwischen offen zu halten und darin seine Ohren zu bereiten zum Hören der Wahrheit und die Augen zu öffnen zum Sehen: „Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!" (Mt 17,5) Sehen und Sören. Ebenso Mose: Der Glanz auf seinem Gesicht nach der Begegnung mit Gott, der ihm die Gesetzestafeln auf dem Berg überreicht hat, dieser verklärte Glanz auf seinem Antlitz ist dem Volk unheimlich. „Ist der irre geworden oder noch einer von uns?" Deshalb beschließt Mose, das Leuchten zu verstecken und sich eine Wolldecke über den Kopf werfen, bevor zu seinem Volk hinaustritt, um ihnen von seiner Zwiesprache mit Gott zu berichten und ihnen die himmlischen Gesetzestafeln ans Herz zu legen.

Übrigens das Wort für Strahlen und Leuchten, welches an dieser Stelle im hebräischen Text steht, gleicht im Hebräischen fast haargenau der Wurzel für das Wort „Horn". Deshalb übersetzt die antike lateinische Bibelübersetzung - die Vulgata - an dieser Stelle, Mose sei mit Hörnern im Angesicht nach dem Gespräch mit Gott vor das Volk getreten. Auf dieser Grundlage hat der Künstler Michelangelo seine berühmte Mose-Skulptur mit Hörnern an der Stirn ausgestattet, und auch das von Maximilian Steffens geschaffene Epitaph für Georg von der Fechte hier in St. Katharinen an der Säule im Nordschiff stellt Mose mit Hörner dar. Das aber steigert seine Unheimlichkeit nur umso mehr: denn jetzt gleicht in seinem Strahlen einem Dämon; oder er gleicht sogar einem Gott, dem Gott, um den das Volk eben noch getanzt ist. Ich spreche von dem goldenen Kalb, das Aharon aus den Ohrringen und dem Goldschmuck des Volkes herstellt, um ihre Ungeduld zu beschwichtigen, als Mose das erste Mal. auf dem Gipfel des Berges verschwindet, um Gottes Gesetze zu empfangen, und einfach nicht wiederkommen wollte. Als er dann doch zurückkehrt, zerschmettert Mose voller Zorn das goldene Kalb und die Gesetzestafeln Gottes gleich mit dazu. Und jetzt? Jetzt, als er das zweite Mal mit neuen Gesetzestafeln kommt, trägt er selbst die Insignien des goldenen Gottes, des Stierbildes, die Hörner an der Stirn: dieses Mal aber verliehen von dem unsichtbaren Gott auf dem Berge.


Befremdlich und gefährlich diese Verklärungen. Lassen wir also lieber die Finger davon und ersetzen als aufgeklärte Christen oder Zeitgenossen Verklären mit Erklären. Aber leider funktioniert das nicht, weil Erklärung und Aufklärung Verklärung ebenso brauchen, wie wahrhaftige Verklärung auf Aufklärung zielt und damit zu vertiefter Klärung und Erklärung verhilft. Oder mit den Bildern unserer Texte: Die Weitergabe der Gesetze Gottes an das Volk ist Mose allein Kraft der Gegenwart Gottes an die Hand gegeben. Das heißt: wer Gesetze Gottes ohne himmlisches Leuchten weitergibt, also in reiner Rationalität, verfälscht das Gesetz, weil er damit das Gesetz vom göttlichen Wort zu einer menschlicher Satzung machen: das ist keine Polemik gegen menschliche Satzungen, aber doch eine Polemik gegen menschliche Satzungen die vorgeben, göttlich zu sein, also eine Polemik wider alle Götzen oder auch Ideologien, wie wir sie heute nennen, eine Polemik wider alternative Wirklichkeiten und andere Versuche die Wahrheit in Schwitzkasten und eigenen Dienst zu stellen, anstatt unser Tun und Sprechen in den Dienst der Wahrheit zu stellen, und sei tastend wie Mose unter der Wolldecke, mit der er sein Angesicht bedeckt, um dem Missverständnis zu begegnen, er und das Leuchten seien eins: „Nicht ich bin Gott, sondern Gott hat mir seine Gesetzestafeln in die Hand gegeben, auf dass ich sie mit Euch teile und wir ihm folgen auf der Spur der Wahrheit unseres Lebens und der Welt." Wahrheit? Was ist Wahrheit? Sei vorsichtig mit Deinen Worten, Pastor. Was weißt Du, was wissen wir schon über die Wahrheit? Im Namen der Wahrheit ist so viel Blut geflossen. Gehört es sich nicht, dass wir den Wahrheitsbegriff zur Seite legen. Wollen wir uns als aufgeklärte Zeitgenossen nicht lieber auf das Aushandeln der Wahrheit beschränken. Weniger ist mehr. Wahrheit ist dann einfach das, was sich in der Debatte als Wahrheit herauskristallisiert, und nicht etwa eine vorgefertigte Größe, die wir finden und festhalten können, wenn wir nur emsig und wahrhaftig genug danach suchen.


Widerspruch! Gewiss, die Wahrheit kann niemand von uns festhalten - das ist schon dem großen Petrus nicht gelungen. Als er daranging, der Wahrheit ein Haus zu bauen, um sie einzufangen und einzuhegen und so für sich festzuhalten, ist das Wunder mit einem Male vorbei und alle Erscheinungen verschwinden. Wir können die Wahrheit niemals einfangen, selbst in unseren Kirchen nicht. Das zwingt uns aber lange nicht, sie aufzugeben. Wir haben sie nicht als Besitz, aber als Geschenk, nicht als etwas, das wir zu bewältigen vermögen, sondern das uns überwältigt, nicht als eine Kraft, die wir begreifen, sondern als Kraft, die uns ergreift. Die Wahrheit entzieht sich letzter Erklärung, aber wir haben sie in der Verklärung. Nicht in der Verklärung, die unseren Blick verschwimmen lässt, wenn wir Zuviel trinken oder das Falsche rauchen. Sondern in der Verklärung, die uns beispielsweise im Staunen ergreift über das Wunder der Geburt, wie die Weisen aus dem Morgenland, die ihre Knie vor dem Neugeborenen in Bethlehem beugen - das feiern wir heute noch einmal in diesem Jahr an diesem letzten Sonntag nach Epiphanias. Verklärung, nicht als Widerpart zur Aufklärung, sondern als ihre Schwester, als Geschwister, die einander brauchen, wie der Tag die Nacht, das Wachen den Schlaf, allerdings mit einer gewissen Asymmetrie: so wie das Licht Schatten zu werfen vermag, aber der Schatten kein Licht erzeugt, so ist die die Verklärung, die der Aufklärung die Neugier und die Poesie und das Staunen über das Wunder unseres Lebens einstiftet, ohne welche die Aufklärung jene Tiefenschärfe, Demut und Wahrhaftigkeit verliert, aus der ihre emanzipatorische Kraft lebt. Das bedeutet nicht, dass Rationalität und Aufklärung nicht ohne Verklärung können; aber die Verklärung ist das Element, das die Aufklärung zurückbindet an unserer Menschlichkeit und an das Wunder des Lebens. So richtet die Verklärung die Perspektive der Aufklärung auf die Wahrheit der Welt aus. Wo uns diese Perspektive aber schwindet, lauert Unmenschlichkeit, weil dann die Wahrheit unter die Räder einer ganz und gar instrumentellen oder technischen oder ökonomischen oder auch digitalen Vernunft zu kommen droht.

 

Diese Vernunft hat die Fähigkeit allein innerhalb ihrer eigenen Referenzrahmen zu funktionieren und damit alle Skrupel abzulegen, die uns beim Blick über Grenzen und Horizonte hinaus anwehen. Diese skrupellose Fokussierung setzt immense Effizienz frei, die zugleich eine unfassliche Produktivität und massive Zerstörungswellen loszutreten vermag. Die Geschichte unserer Gegenwart erzählt davon, wenn wir beobachten, wie unser immenses Wachstum von Innovation und Reichtum und die Verödung unseres Planeten einander die Hände reichen wie zum Tanz dem Abgrund entgegen, während wir wie die Kaninchen vor der Schlange daneben stehen und kein Ausweg wissen aus dieser Spirale. Innerhalb dieses Teufelskreises kommt Verklärung in Gestalt von Verschwörungstheorien daher oder als die Vision, dass wir im Zweifel einfach auf Mond oder Mars auswandern. Angesichts dieses Zynismus ist die Frage tatsächlich erlaubt: „Was habt ihr eigentlich geraucht?" Ein erschreckendes historisches Beispiel für den Verlust von Verklärung in der Vernunft ist für mich im Gedenken an die Wannsee-Konferenz zu mir gekommen. Auf der Wannsee-Konferenz kamen am 20. Januar 1942 Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und der SS-Behörden unter Vorsitz des SS-Obergruppenführers Reinhard Heydrich zusammen und besprachen in einer gerade mal 1 1/2 stündigen Sitzung die Logistik zur Vernichtung der europäischen Juden. Anschließend fuhren sie nach Imbiss, Cognac und Kaffee ab und gingen frisch ans Werk. 80 Jahre ist das jetzt her. Den Folgen dieser Konferenz - über sechs Millionen ermordete Juden - haben wir letzter Woche gedacht, am 27. Januar, dem internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocoust anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Januar 1945. Lass uns dafür einen Moment der Stille halten - ich bitte Euch, Euch dazu zu erheben.


           Moment der Stille - Danke

 

„Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie Licht.” (Mt 17,2). „Und als Mose vom Berg Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln des Gesetzes in der Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil mit Gott geredet hatte." Zweimal Verklärung, zweimal Licht als Zeichen der Durchlässigkeit des Himmels für die Erde. Erstaunliche Geschichten, aber auch befremdlich. Befremdlich? Befremdlich sollte uns sein, wie uns das Talent zur Verklärung verloren gehen konnte. Denkt noch einmal an die Weisen aus dem Morgenland, die niederknien vor dem Kind - vor allen Kindern, diesen Meistern Verklärung - wenn sie sich beispielsweise verlieren im Spiel. Die Weisen könnten auch niederknien vor den Liebenden, wenn sie sich in ihren Blicken verlieren, die sie einander zuwerfen, oder in den Armen, mit denen sie sich umfangen. Aus diesem Niederknien der Weisen vor den Kindern und Liebenden kommt aber die Frage zu uns, welche die Verklärung der Aufklärung stellt, und diese Frage lautet: „Wie bekommen wir das hin, dass wir die Orte, an die wir gestellt, und den Planeten, der uns beherbergt und der uns Kraft unserer Möglichkeiten anvertraut ist, wie bekommen das hin, dass wir an unseren Orten und auf diesem Planet die Chance erhalten, Garten der Gastfreundschaft zu sein für die Kinder und für die Liebenden heute und für alle kommenden Generationen?" Dazu bedürfen wir des Gebets um den Mut, der uns aus der Kraft Verklärung zuwächst, Gebet um den Mut, unsere Träume zu wagen, Sehnsucht und Neugier lebendig zu halten, Güte zu üben, Frechheit und Humor zu behalten, Widerstand zu leisten, Wahrheit zu suchen und damit die Aufklärung zu betreiben, die aus der Verklärung erwächst. Das ist die Aufklärung, welche das Tor zum Himmel aufstößt, indem die Erkenntnis und Poesie verbindet, Technik in den Dienst der Menschlichkeit stellt, Effizienz einbettet in Vielfalt und darin festhält am Glauben an die Wahrheit, auch wenn sie um die Grenzen unserer Vernunft weiß und darum, dass unser Lernen nie aufhört, weil wir die Gegenwart Gottes niemals in festen Häusern haben - das ist der Irrtum des Petrus. Wir finden das Gesetz des Himmels niemals in Stein gemeißelt, sondern nur, wenn wir mitlesen, was zwischen den Zeilen der Heiligen Schriften steht - so wie Mose, der nicht direkt, sondern geschützt durch die Wolldecke zu seinem Volk und zu uns spricht.


Deshalb: „Steht auf und fürchtet euch nicht! Sondern gebraucht Euren Kopf und Euren Verstand - aber nicht kalt, sondern - den Weisen aus dem Morgenland gleich - mit Herz und mit Staunen!"

 

Amen.

 


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