Predigt am 20. September 2020 – 15. Sonntag nach Trinitatis

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

„Grün, wie im Paradies“ (1. Mose 2, 4-9.15)

Kantaten- Gottesdienst
Johann Sebastian Bach: Was Gott tut, das ist wohlgetan, BWV 99

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Grün! Diese Farbe löst die schönsten Assoziationen aus. Denken sie an eine satte grüne Wiese, im Park oder in den Bergen. Stellen sie sich vor, wie sie sich bei herrlichem Wetter hineinlegen, die Arme ausbreiten, den Duft von Gras und Blumen einatmen. Grün sind die Blätter an den Bäumen über ihnen, die Farne und Moose, die Kräuter und Sträucher. Grün – allein das Wort auszusprechen tut gut. Grün! Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen... Das Ü geht nicht jedem leicht über die Lippen. Uns schon.


Die Farbe grün, so sagen es Psychologen, löst positive Gefühle aus. Dafür stehen Redewendungen wie: alles im grünen Bereich, grünes Licht geben, eine grüne Welle haben, oder einen grünen Daumen, ins Grüne fahren, jemanden über den grünen Klee loben, Grünzeug, grün hinter den Ohren. Forscher können belegen, dass das Grün beruhigend und harmonisierend auf uns Menschen wirkt. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Wir sagen auch: Ach, du grüne Neune, wir kommen einfach auf keinen grünen Zweig, oder wir werden grün vor Neid. Grün kann auch ganz ekelig sein - erinnert sich noch jemand an dieses glitschige grüne Zeugs namens slime?

 

Das blieb zum Glück nur eine flüchtige Randerscheinung. Nachhaltig wirkt das Grün in Politik und Wirtschaft. Eine Partei trägt es im Namen und in der EU hat man als Antwort auf die Klimakrise den „green deal“ erfunden. Gemeint ist ein nachhaltiges Wirtschaften, das Ökologie, Ökonomie und soziale Verantwortung miteinander verbindet.

 

Grün stelle ich mir auch das Paradies vor: fruchtbar, prachtvoll, traumhaft schön. Ich phantasiere eine unendliche Vielfalt von Bäumen und Blüten, Blättern und Früchten, eine üppige Vegetation, saubere Flüsse und Seen, allerbeste Luftqualität, nicht zu heiß und nicht zu kalt, wohltemperiert. Mit dem göttlichen Paradies verbinden sich Träume von einer heilen Welt, einer heilen Natur, einem Frieden zwischen Gott und den Menschen und den Tieren. So haben es sich schon unsere Urahnen ausgemalt, und so haben es unzählige Künstler auf Leinwänden und Altären abgebildet. Und Gott sah an, alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut (Gen 1,31). Was Gott tut, das ist wohlgetan, so sang es eben die Kantorei.

 

Die Schöpfungsgeschichte, die wir zuvor hörten, steht im 2. Kapitel der Bibel und an 2. Stelle, ist aber historisch betrachtet älter als die Erzählung von der Schöpfung in sieben Tagen in Kapitel 1. Dort wird jeden Tag ein Werk vollbracht, am 6. Tag der Mensch. Hier heißt es: Noch bevor Sträucher und Kräuter auf dem Feld gewachsen waren, noch bevor Gott es zum ersten Mal regnen ließ, machte er den Menschen aus dem Staub der Erde, blies ihm Odem in die Nase und schuf ihn als ein lebendiges Wesen. Dann pflanzte er im Osten einen Garten, setzte den Menschen hinein und lies aus der Erde aufwachsen allerlei Bäume mit Früchten gut zu essen. Dem Menschen aber gab Gott die Aufgabe, diesen Garten zu bebauen und zu bewahren.

 

Wir alle wissen, wie die Erzählung weitergeht: Kein Mensch kann allein überleben, das erkannte Gott schnell, und so schuf er die Tiere auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel. Aber auch sie waren noch kein gleichwertiges Gegenüber, kein Partner, kein Gehilfe. Dann erst bildete er die Frau aus der Rippe des Mannes, bautesie aus demselben Fleisch und Bein und führte sie zueinander.

 

Gott, der sorgende, fürsorgende Handwerker. Ein sehr menschen-ähnliches Bild wirdhier von Gott gezeichnet. Als feministisch bewegte Studentin habe ich an dieser Stelle immer protestiert und mich über die vielen theologischen Kommentatoren geärgert, die die Frau als zweitklassig, Anhang, abhängig und „nur“ Gehilfin des Mannes herabstuften. Mittlerweile gibt es zahlreiche schöne Retourkutschen wie diese: Natürlich hat Gott den Mann vor der Frau geschaffen. Schließlich macht jeder Künstler zuerst einen Rohentwurf, bevor er das eigentliche Meisterwerk schafft. Oder: Gott muss von Adam sehr enttäuscht gewesen sein, sonst hätte er Eva nicht so anders gemacht ... Mittlerweile ist aber auch die Theologie klüger geworden und die Alttestamentler betonen heute: Entscheidend ist nicht die patriarchiale Weltsicht in der Schöpfungserzählung, sondern der Gedanke der Sozialität, nämlich die Erklärung dafür, dass wir Menschen auf helfende und bestätigende Gegenüber angewiesen sind. Es geht vor allem darum, dass der Mensch nicht mehr einsam ist, sondern zu zweit. Eigentlich sollte ich sagen, zu dritt! Denn auch Gott bleibt ihm Gegenüber, Schutz und Schirm vor allem Bösen, Licht und Wärme, Arzt und Helfer: Was Gott tut, das ist wohlgetan, dabei will ich verbleiben. Es mag mich auf die rauhe Bahn Not, Tod und Elend treiben, so wird mich Gott ganz väterlich in seinen Armen halten; drum lass ich ihn nur walten (Choral 6).

 

Gott schuf für den Menschen eine heile Welt. Diese gerät aus den Fugen in dem Moment, wo sich Adam und Eva ihrer Freiheit bewusstwerden, vom Baum der Erkenntnis essen, aus ihrer träumenden Unschuld erwachen, den Unterschied von gut und böse entdecken und erkennen, dass sie nackt sind und sich schämen. Die paradiesische Harmonie zerbricht. Der Mensch wird seiner Freiheit bewusst und indem er sie ergreift, wird er immer auch schuldig, an Gott, am anderen und an der Natur. Das ist die Erklärung dafür, dass jeden Tag aufs Neue Zerstörung und Gewalt zwischen Menschen und in der Natur geschehen.

 

Hier wird die eigentliche Bedeutung der mythischen Schöpfungserzählungen sichtbar. Sie sind nicht wörtlich zu verstehen, sondern symbolisch. Sie beschreiben in mythischer und poetischer Sprache, warum die Welt so ist, wie sie ist: nämlich nicht wie im Paradies, sondern schön und schwierig, fruchtbar und ausgedörrt, wunderbar und mühsam, voll erstaunlicher Liebe und abschreckender Grausamkeit. Entscheidend ist: Bei allem, was der Mensch auf Erden anrichtet oder was ihm passiert, bleibt die Erde Gottes Schöpfung und der Mensch sein geliebtes Geschöpf. Seht die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde: sie säen nicht, sie ernten nicht und unser himmlischer Vater ernährt sie doch. Wieviel mehr wird er für den Menschen sorgen, den er sich zum Ebenbild, zum geliebten Gegenüber erschuf? (Mt. 6, 25-34)

 

Wenn wir also heute danach fragen, was ist uns diese Erde wert? Was bedeuten unsFlüsse und Seen, Wiesen und Wälder, Meere und Gletscher? Was bedeuten uns die Mitmenschen in Moria auf Lesbos, die Kinder in Not, die kranken Nachbarn – dann können wir uns an dem orientieren, was Gott für uns getan hat: Er hat uns diese Erdegegeben, damit wir sie bebauen und bewahren. Er hat uns einen Menschen an die Seite gestellt, damit wir erfahren, was die Liebe ist und das Leben erst lebenswert macht. Er sorgt für uns wie für die Lilien auf dem Felde – besonders dann, wenn wir in unserer Freiheit Dinge tun, die nicht gut sind für uns und seine Schöpfung.


Die Bilder vom Paradies bleiben wirkmächtig, die Sehnsucht nach einer heilen, intakten, grünen Umwelt auch, grün wie das Südportal von St. Katharinen seit gestern: Moos ziert unsere Fassade, absorbiert den Lärm der Stadt und verwandelt Co2 in Sauerstoff. Ein schönes Symbol für eine Stadt, die am Wasser gebaut wurde und von zahlreichen Flüssen und Fleeten durchzogen ist, die grüne Parks und Gärten besitzt und sie pflegen sollte, wie im 1. Buch Mose beschrieben. Wir können mehr davon brauchen, liebe Pia-Frauen. Die Planerinnen, Ingenieurinnen und Architektinnen des Vereins Pia feiern ihr 20jähriges Jubiläum und läuten mit ihrer Installation und uns die diesjährige Klimawoche ein. Wir schauen uns die kleine grüne Oase nachher gemeinsam an, denn das letzte Lied singen wir heute zusammen draußen an der frischen Luft, im Grünen.

 

Grün! Denken sie an eine satte grüne Wiese, im Park oder in den Bergen. Stellen siesich vor, wie sie sich bei herrlichem Wetter hineinlegen, die Arme ausbreiten, den Duft von Moos, Gras und Blumen einatmen und Gott dafür Dank sagen.

 

Amen.

 

 

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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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