Predigt am 05. Juli 2020 – 4. Sonntag nach Trinitatis

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

„Licht ist dein Kleid, das du anhast“ (Psalm 104,2)
– Impressionen zu Claude Monet (1840-1926)

 

 

Liebe Gemeinde,

 

Licht ist dein Kleid, das du anhast.

 

Dieses Wort aus dem 104. Psalm kommt mir in den Sinn, wenn ich auf den Heuschober von Claude Monet (1840-1926, gemalt 1890/91) blicke. Schauen sie selbst: Das ganze Bild leuchtet, goldfarben wirken die Wiesen, rötlich braun die beiden Heuschober. Dahinter eine grüne Baumreihe, am Horizont verschwommen eine Hügelkette und ein sanfter, hellgelber Himmel. Die Luft flirrt, ein Flimmern geht durch diese Landschaft. Es wärmt. Man fühlt geradezu die Sommerhitze, die darüberliegt. Im Schatten der Heuhaufen könnte es ganz angenehm sein – sie stehen da wie runde Zelte mit spitzen Dächern. Auf Genauigkeit und Präzision kommt es Monet dabei nicht an, der Schobers selbst interessiert ihn kaum. Vielmehr scheint es so, als ob das Motiv eine Art Projektionsfläche oder Schirm bildet, um Lichteffekte festzuhalten und feine Stimmungen und Atmosphären nachzuspüren (vgl. Katalog zur Ausstellung).

 

Monet hat dieses Motiv 25 Mal gemalt, zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten, auch im Schnee, im Morgen- und Abendlicht, einzeln und in einer Reihe. Bei einem Wetterumschwung konnte er zwischen mehreren Leinwänden hin und herwechseln und so hinterlässt ein einfacher Heuhaufen auf jedem Bild einen anderen Eindruck, eine besondere Empfindung, wird verwandelt, vertieft und umhüllt mit Farbe, Luft und Licht.

 

Licht ist dein Kleid, das du anhast.

 

So dichtet der Psalmbeter und lobt Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde: „Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig geschmückt. Du breitest den Himmel aus wie einen Teppich... Du feuchtest die Berge von oben her, du machst das Land voll Früchte, die du schaffest. Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen“ (Psalm 104). Wer in diesen Sommerwochen raus fährt aufs Land, der kann das Heu riechen. Allerorten wird es gemäht, nicht mehr mit der Sense wie zu Monets Zeiten, sondern mit riesigen Maschinen, die es gleich zu großen runden Ballen formen. Sie liegen verteilt über die weiten Wiesen Norddeutschlands, Futter für Tiere, Saat zu Nutz den Menschen. „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel!“

 

Claude Monet hat zusammen mit weiteren Künstlern seiner Zeit, die Freiluftmalerei wiederentdeckt und damit jene Kunstrichtung mitbegründet, die man Impressionismus nennt. Für mich sind diese Bilder gemalte Lobeshymnen auf den Schöpfer – sie sind so schön! Ja, manche sagen, sie sind viel zu schön (meine Tochter z.B. meint, bei allem Respekt das sei Wohlfühlkunst, ihr Stil sei das nicht). Andere mögen sie nicht mehr betrachten, weil sie in jeder Postergalerie hängen und zu Dekorationszwecken herabgestuft werden. Nun, über Kunstgeschmack und -genuss lässt sich bekanntlich streiten und immerzu mag ich die Impressionisten auch nicht anschauen. Aber in diesen Wochen, so krisengeschüttelt wie wir sind, mit hässlichen Schlagzeilen aus der Fleischindustrie, beschämenden Bildern aus den Unterkünften der Werksarbeiter, einer Umweltkatastrophe durch den Dieselunfall in Sibirien und mit den weltweit steigenden Zahlen von Covid-19 Infizierten – da brauche ich Bilder wie diese von Monet und mit ihnen die Erinnerung an Gott, den Schöpfer des Lichts, an Jesus Christus, den Überbringer des Lichts und - um den Gedanken trinitätstheologisch zu Ende zu bringen - an den Heiligen Geist, der unseren menschlichen Geist erhellt. Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus und ihr seid Kinder des Lichts, heißt es im Epheserbrief – das Motiv des Lichts ist in der Bibel fest verankert und bedeutet ganz viel: Licht auf den Wegen, die wir gehen, Wahrheit und Werte, die uns leiten, Hoffnung in finsteren Momenten, es symbolisiert die Ewigkeit, die Herrlichkeit. Ein Leben als Kinder des Lichts ist ein Leben umgeben von der Gnade und Güte Gottes. Daran möchte ich Sie und uns heute Morgen erinnern, liebe Gemeinde, damit die finsteren Gedanken, die uns in dieser Krise oft belasten, nicht zu mächtig werden. Wir sind Kinder Gottes, umgeben von seinem Licht. Sein Licht kleidet auch uns, jeden Morgen neu.

 

Licht ist dein Kleid, das du anhast.

 

Die Ausstellung „Claude Monet. Orte“ im Museum Barberini in Potsdam zeigt über 100 Werke des Malers (übrigens kann man sie sich wunderbar im Internet ansehen, eine App herunterladen und eine virtuelle Führung durch die Ausstellungsräume erleben). Sie spiegeln die Orte, an denen Monet gelebt hat, das waren nicht wenige. Er führte eine fast nomadische Existenz immer auf der Suche nach Motiven für seine Leinwand. Geboren ist er 1840 in Paris, aufgewachsen in Le Havre, wo er schon als Schüler Zeichenunterricht nahm. Im Alter von 15 Jahren war er in der ganzen Stadt als Karikaturist bekannt. Er studierte Malerei und widmete sich schon früh der Landschaftsmalerei, teilweise unterstützt von seiner Familie, teilweise durch den Verkauf einzelner Werke in verschiedenen Salons. 1870 zog er nach London, um derEinberufung in den Krieg zu entgehen, es folgten Aufenthalte in Holland, an der normannischen Küste, an der französischen Riviera, in Venedig und in verschiedenen kleinen Ortschaften.

 

Bevor er eine Landschaft, eine Kirche, einen Bahnhof, einen Garten oder Heuschober malt, setzt er sich intensiv mit dem Ort auseinander. Ich hatte immer gedacht, er wählt sein Motiv spontan, intuitiv aus. Aber so ist es nicht und davon zeugen seine vielen Reisen quer durch Europa. 1883 ließ er sich dauerhaft in Giverny nieder, einem kleinen Bauerndorf 80 km nordwestlich von Paris. Dort legte ereinen Garten an, in dem die berühmten Seerosen blühten, die am Ende im Mittelpunkt seines Schaffens liegen – Spiegelungen von Himmel und Weiden auf blauem Wasser, mit Seerosenkreisen in allen erdenklichen Farben – da verschwimmen die Konturen und der Übergang zum Expressionismus ist sichtbar.

 

Dieses Streben nach der subjektiven Wiedergabe eines flüchtigen Lichtspiels, eines vorübergehenden Eindrucks macht die radikale Modernität Monets aus. Auf die Frage, was er einem angehenden jungen Künstler raten würde, antwortete er in einem späten Interview: „Malen Sie die Natur so, wie Sie sie selbst sehen. Wenn Sie die Natur nicht richtig sehen, mit einer individuellen Empfindungsgabe, werden Sie auch durch noch so viel Unterricht nie Maler werden.“

 

Die Kunst ist eine Form, die Welt zu sehen, Empfindungen auszudrücken, Gedankenanzuregen, sich seiner selbst bewusst zu werden im Gegenüber zum Motiv, zum Kunstwerk. Heute Morgen zusammen mit den Worten des 104. Psalms: Licht ist deinKleid, das du anhast. Und um noch einmal Johann Wolfgang von Goethe zu zitieren:

 

Auch das ist Kunst,
ist Gottes Gabe,
aus ein paar sonnenhellen Tagen
sich so viel Licht ins Herz zu tragen,
dass, wenn der Sommer längst verweht,
das Leuchten immer noch besteht.

 

Amen.

 

 

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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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