Predigt am 03. April 2022 – Sonntag Judika

Pastorin Carolin Sauer

„Was willst du?“ (Mt 10,36)

 

Predigttext: Mk 10,35-45

 

Was willst du?


Keine schlechte Einstiegsfrage für ein philosophisches Seminar, oder als ernstgemeintes Interesse in tiefgehenden Beziehungsgesprächen.


Was willst du? Manchmal ist das auch die Antwort auf die dritte, vierte, fünfte oder sechste Maaaamaaa oder Papaaa, Opaaaa, oder Ooomaaa Unterbrechung eines Gesprächs.

 

Was wollt ihr?


Prominent ist diese Frage im Predigttext des heutigen Sonntags. Jesus stellt sie wie eine Einladung, als wäre kein Anliegen erst einmal zu banal um es zu äußern.

Ich überlege: Wenn ich jetzt und hier einen Wunsch frei hätte. Was will ich wohl?
Oder Sie? Was käme als erstes in den Sinn?
Etwas lang erträumtes und noch nicht realisiertes.
Etwas, das finanziell leider nicht drin ist…
Etwas, das fehlt. Jemand der fehlt.
Etwas, das helfen würde, Seele und Gemüt wieder aufatmen zu lassen.
Frühling, Fernreise, Frieden ...
Heilung, Hoffnung, Heimat ….
Zeit-Zurückdrehen, Zusammensein, Zukunft …

 

Was wollt ihr? So fragt Jesus im Markusevangelium ganz offen die beiden, die kommen um ihn etwas zu bitten.


Mir selbst fällt das gar nicht so einfach, einen Wunsch zu benennen.


Einfacher wäre es da zu sagen, was ich nicht will? Da würden schnell so einige Seiten voll werden.


Krieg, Arroganz, subtile oder plumpe Machtausübungen, die Menschen kleinmachen. Hunger. Flucht. Krankheit und Tod. Ausbeutung.


Aber positiv formuliert, so eine richtig mutige Vision fassen? Gar nicht so leicht.


Jakobus und Johannes, die trauen sich das. Sie formulieren so: „Wir wollen möglichst nah bei Gott sein.


Dann kann endlich nichts schlimmes mehr passieren“. Nach all den Schreckensbilder, die Jesus ihnen für die nahe Zukunft angekündigt hat, sehr nachvollziehbar.


Wir und Gott. Ganz nah beieinander. Das wünsche sie sich.


Ihr Hoffnungsbild klingt biblisch so:
Lass uns neben dir sitzen,
wenn du in deiner Herrlichkeit regieren wirst. (Mk 10,37)


Verlockend.


Ganz nah bei dem sein, der Leib und Seele stärkt.


Beschützt sein.


In einer himmlischen Zukunft. Im leuchtenden Jerusalem, dass uns hier in Katharinen mit dem Gloria-Fenster ja farbenfroh vor Augen steht.


Ganz nah dran sein am Weg, an der Wahrheit, am Leben, jetzt und immer.


Das ist besser als eine sonnige Mittagspause.


Sicherer als das Amen in der Kirche.


„Lass uns bei dir sein. Und wenn es geht, am besten noch direkt neben dir“, so fordern die beiden. Denn nah bei Jesus sein, das sagt doch auch was über den eigenen Rang aus. Sitzordnungen sind ja nicht Schall und Rauch.

 

Die Antwort auf die zugegebenermaßen doch auch plumpe Bitte der beiden ist keine harsche Zurückweisung.


Er fordert die beiden auf, noch einmal ernsthaft auf den schönen frommen Wunsch zu blicken. Auf die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sich so nah einzulassen.  
Könnt ihr den Becher austrinken, den ich austrinke? (Mk 10,38), so fragt er. Könnt ihr es wirklich aushalten bei mir?


An meiner Seite? Könnt ihr nicht nur beim Festmahl im himmlischen Jerusalem an meiner Seite sein, sondern ganz konkret, hier und jetzt, auf allen Wegen? Denn nicht nur im himmlischen Jerusalem sind Plätze rechts und links frei. Am Kreuz auch. Zur rechten und zur Linken.


Könnt ihr den liebevollen Blick auf die Welt, dem nichts und niemand gleichgültig ist, bewahren? Sensibel bleiben für das Leid andere? Das, was ihr sehen und erleben werdet, an euch ranlassen?


Kann ich das gerade? Können Sie das? Hier und jetzt leben und glauben. Verzweifeln und doch nicht resignieren. Den Blick nicht abwenden?


Eine schwierige Frage!


Meine Antwort wäre sicher zögerlicher ausgefallen. Vielleicht! Manchmal gelingt mir das. Ich will, dass es gelingt. Jakobus und Johannes sind da vollmundiger. Sie antworten: Klar!


Und Jesus lässt sie. Er lässt ihnen diese Sicherheit und damit die Hoffnung, nah bei Gott sein zu können.


Auch wenn das überzeugte „Klar doch!“ der beiden im Realitätscheck der folgenden Passionsgeschichte durchfallen wird. Er lässt ihnen ihren Hoffnungsgrund und gibt sogar noch etwas konkretes an die Hand: Ihr seid nah dran, wenn ihr aus dem Kelch trinkt, der nach Leben schmeckt. Ihr seid nah dran durch das unumbrüchliche Ja in der Taufe. Dass jede und jeder wertvoll und in guter Gemeinschaft derer ist, die mit allen göttlichen Wassern gewaschen sind.


Die Mutmachbilder stärken. Und nehmen dennoch die Göttlichkeit Gottes ernst, Gottes Souveränität selbst ernst. Da steht: zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. (Mk 10,40)


Den Sicherheitsbedürfnissen der beiden Jünger, sich den Platz zur Rechten jetzt schon mal zu reservieren, kommt er nicht nach. Das kann er nicht. Und glauben heißt auch, dass Gottes Nähe nicht selbst erlangt und erarbeitet, nicht durch besonderen Ruhm, Überzeugungskraft oder Macht befördert wird, sondern ein Geschenk ist. Und sich manchmal fernen den je anfühlt. Schwer auszuhalten ist das. Für die Jüngerinnen und Jünger damals und auch heute.


Wir können unseren Platz ganz nah bei Gott nicht aus uns heraus bewirken. Diese Erkenntnis wird in Jesu Worten zur Gesellschaftskritik. Und klingt so aktuell wir nur möglich: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder. Aber so ist es nicht unter euch. Wer groß sein will unter euch, der soll Diener sein. (Mk 10,42f.)


Und da sehe ich sie. Die Frau die am Abend nicht bei ihrer Familie sein kann, weil sie etwas anderes von dieser Welt will. Judikame: dh. Schaffe recht. Sie packt Transporter mit Gütern. Für die Grenzregion.


Da sehe ich unsere Jugendlichen, wie sie einen ihnen lieb gewonnenen Ort räumen, damit Menschen eine neue Bleibe finden.


Die wollen was, gegen die Machtlogik.


Eben nicht die haben einen festen Platz, die ihren Platz mit allen Mitteln verteidigen.


Zum Preis alles und alle anderen niederzumachen.


Mann.
Frau.
Kind.
Kolleg:innen oder Mitarbeitende.
Volk.
Völker.
Welt.


Dahinter steht nicht Größe, sondern Angst. Die Unsicherheit, wo der eigene Platz ist.

 

Aber, so ist es unter euch nicht, spricht der biblische Jesus.


Und wunderbar, dass die Worte genauso sind.


Klar und deutlich: So ist es nicht. Das ist keine zynische Nivellierung des Unrechts, sondern ein Anspruch der ein Vorbild hat. Denn der biblische Jesus lebt es vor.


Der Menschensohn ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen. (Mk 10,45)


Der Menschensohn ist nicht da ganz oben. Bei denen, die sich am liebsten um sich selbst drehen, ihren Platz um alles in der Welt verteidigen. Da findet ihr ihn nicht.


Der Menschensohn geht nach unten.
Ist nicht Herrscher.
Ist Diener.
Ganz tief unten.
Geschlagen und verletzt.
An der Grenze des Lebens.
Im Tod.
Der sitzt zur Rechten. Der ganz am Boden war.
Sucht da! Denn so ist er unter euch.
Mitten unter uns alle.

 

Was willst du also?


Was Sie?


Vielleicht geht es mir doch ähnlich wie Jakobus und Johannes. Ich und Gott, ganz nah. Das wär es! Angesichts der vielen Passionsgeschichten dieser Zeit. Ich und Gott, ganz nah, mitten im Leben:


Im Lieben und Streit Aushalten.
Im Weinen und schwach zu sein.
Beim Dienst an denen, die Hilfe brauchen.
Beim gemeinsamen Träumen.
Denn so ist er nah.
Inmitten der Gemeinschaft derer, die sich Brot und Wein reichen. Sich gegenseitig stärken für das Leben.
Das ist besser als eine Mittagspause in der Sonne.
Sicherer als das Amen in der Kirche.


AMEN

 


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