Predigt am 18. April 2022 – Ostermontag

Pastorin Carolin Sauer

 „Sink/gend“ (Jona 2,10)

 

Predigttext: Jona 2,3-11

 

„Aber es gibt doch keine Beweise“, sagt der kleine Junge. Keine Fotos, keine Videoaufnahmen! Sein Kinn ist etwas nach vorne geschoben. Er hat seinen Körper aufgerichtet und schaut mich aufmerksam an. Sechste Klasse, Kapuzenpulli, mit Tintenfleckigen Fingern. Er sitzt auf der Bank neben dem Landeraltar. Gerade haben wir über das letzte Abendmahl gesprochen, über miese Erfahrungen mit Freunden, die einen fallenlassen. Er sitzt inmitten seiner Freunde. Ein paar schauen auf ihr Handy. Ob da die Bilder der Passionsszenen geöffnet sind, die sie zehn Minuten vorher mit ihren Handys im Kirchraum einfangen sollten, oder die Instagram-Seite von Toni Kroos – ich weiß es nicht. Als sie alleine durch den Raum gegangen sind ist er mir schon aufgefallen. Wie er vorsichtig mit seinen Händen die eine blaue Seidenbahn der Kunstausstellung, genau die, die bis zum Boden reich, berührt hat.

 

Beweise, naja ein paar gibt es da ja schon: Ich beginne von außerchristlichen Quellen über einen Chrestos zu erzählen, die historische Belegbarkeit des Lebens und Sterbens Jesu aus römischer Perspektive. Der Blick in seine Augen zeigt: Das ist es nicht.

 

„Nein, beweisen können wir das alles nicht. Die Kreuzigung vielleicht. Den Wanderprediger Jesus auch. Aber das mit Ostern?“

 

Da fingen einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern an und sprachen zu ihm: Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen.

 

Und er antwortete und sprach zu ihnen: Es wird kein Zeichen gegeben werden, es sei denn das Zeichen des Propheten Jona.
Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein. (Mt 12,38-42 in Auszügen)

 

Auch die Pharisäer wollen Beweise. Und er antwortet ihnen mit einer Analogie: Jona und Christus haben etwas gemeinsam, nämlich die drei Tage! Jona im Bauch des Fisches und Jesus im Grab, na wenn das kein Zufall ist. Beweis erbracht? Sicher nicht. Der Abschnitt bei Matthäus erklärt vielleicht, wieso ein Teil aus dem Jonabuch Predigttext am Ostermontag ist. Aber die Frage des Jungen nach Beweisen erbringt er nicht. Jesus verweist uns und die nach Beweisen Fragenden auf Jona. Den Propheten, der vor Gott weggelaufen ist. Das alles, nachdem Gott ihn losgeschickt hat: „Geh nach Niniveh und erzähle der großen Stadt, dass es jetzt reicht“. Und Jona dreht sich um und geht schnurstracks in die Gegenrichtung. Er flüchtet mit einem Schiff, wird im Sturm über Bord geworfen und sinkt in die Tiefe. Ein Ereignis überschlägt das andere. Rastlos ist die Geschichte bis zum Moment, wo Jona über Bord geht.  

 

Und dann kommt der Fisch ins Spiel, den Gott schickt. Er verschlingt Jona und birgt ihn in der Tiefe. Und auf einmal bremst das Karussell der Ereignisse ab.

 

Was im Fisch passiert, die drei Tage und drei Nächte erzählt die Geschichte nicht. Das, was ihn bewegt, ist verdichtet im Psalm, einem gesungenen Gebet, das Jona mitten in der Tiefe spricht/singt:

 

Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst,
und er antwortete mir.
Ich schrie aus dem Rachen des Todes,
und du hörtest meine Stimme.
Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer,
dass die Fluten mich umgaben.
Alle deine Wogen und Wellen
gingen über mich,
dass ich dachte,
ich wäre von deinen Augen verstoßen,
ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen.
Wasser umgaben mich bis an die Kehle,
die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt.
Ich sank hinunter zu der Berge Gründen,
der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich.
Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt,
Herr, mein Gott!
Als meine Seele in mir verzagte,
gedachte ich an den Herrn,
und mein Gebet kam zu dir
in deinen heiligen Tempel.
Die sich halten an das Nichtige,
verlassen ihre Gnade.
Ich aber will mit Dank
dir Opfer bringen.
Meine Gelübde will ich erfüllen.
Hilfe ist bei dem Herrn. (Jona 2,3-11)

 

Die Schüler:innen holen ihre Rucksäcke von der Empore. Ein paar wollen sich noch eine Postkarte mit einem der Passionsmotive aus St. Katharinen mitnehmen. Er auch! Wie über die Seidenbahn streicht er nun über die verschiedenen Motive: Den Landeraltar, das Kruzifix aus dem 13. Jahrhundert, die Bronzetüre mit der Verurteilungsszene. Die will er mitnehmen! Sein Finger hält auf der Karte mit der Bronzetüre. Darauf zu sehen ist Pilatus, Jesus und die aufgebrachte Menge. Sie ballen ihre Fäuste. Das „Kreuzigt ihn“ kann man ihren finsteren Gesichtern und den geballten Fäusten ansehen. Die Karte mit der Bronzetüre soll es also sein. Auf die Frage, warum gerade diese, antwortet er: „Weil die Faust eines der Menschen aus der Menge so golden glänzt.“ Es ist die Faust, die die Besucher:innen von St. Katharinen wohl am meisten berühren, weil sie zugleich der Türknauf ist.

 

Die Szene wird berührt und berührt zugleich. Da ist Wahrheit verbaut:

 

Dass es genau da, wo man berührt wird, zu glänzen anfängt. Dass das, was berührt, kostbar ist.

 

Vielleicht, so meine ich, ist das ja eine Antwort auf seine Frage: Ob es Beweise gibt, oder auch nicht? Vielleicht ist es jede und jeder einzelne, der in St. Katharinen oder auf der ganzen Welt die Erfahrung gemacht hat, dass die Geschichte mit Gott nicht immer leicht ist, aber eine, die berührt und neue Wege eröffnet. So kostbar ist, dass die Botschaft, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, seit fast 2000 Jahren Menschen bewegt. Die Frauen damals, die nicht umgekehrt sind und das Unglaubliche, was der Engel ihnen verkündigt hat, abgetan haben. Dass Jona im Fischbauch nicht beschlossen hat, dass die Sache mit Gott wirklich zu kompliziert ist und er das mal schön lässt. Sondern singt.

 

Matthäus hat auf die Frage nach Beweisen da wohl einen guten Riecher gehabt, auf Jona zu verweisen. Nicht nur wegen der drei Tage unter Wasser parallel zu den drei Tage Jesu im Grab. Sondern wegen der existentiellen Erfahrung von Menschen mit Gott, die nichts beweisen, sich aber für jede und jeden ganz individuell als wahr erweisen.

 

Die Erfahrungen des Jona klingen für heutige Ohren vielleicht so:

 

Als ich Angst hatte, hast du mir geantwortet. Du hast mich gehört, als ich um mein Leben geschrien habe.

 

Manchmal habe ich das Gefühl, du lässt mich fallen. Alles wächst mir über den Kopf. Ich fühle mich allein, weit weg von dir, abgeschnitten von deiner Liebe.
Als ob mir der Boden unter den Füßen weggerissen würde.
Doch du hast mir neue Wege eröffnet, als ich nicht mehr weiterwusste. Du bist meine Hilfe.

 

Nein, beweisen können wir das alles nicht. Die Kreuzigung vielleicht. Den Wanderprediger Jesus auch. Aber das mit Ostern?

 

Vielleicht ist es ein: Ja und nein! Jede und jeder für sich vielleicht. Wenn sich unter die Klage und das Ringen mit Gott die Zuversicht mischt. In diesen Bauchmomenten, wo Gewissheit wächst, im Zweifel, in der Freude, mitten im Leben.


Wo wir mit Jona:
Abtauchen,
nicht um uns wegzuducken,
sondern um uns
dem Wasser,
der Tiefe,
der Welt,
kopfüber
zu stellen,
zu ergeben.
Und zu erfahren
Es ergibt sich.
Und den Satz wagen:
Du bist mit uns.

 

AMEN

 


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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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