Predigt am 24. April 2022 – Quasimodogeniti

Pastor i.R. Sebastian Borck

„Mit ihm lebendig“ (Kol 2,6-9.3.10.12)

 

Auferstehung


Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.


Nur das Gewohnte ist um uns,
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.


Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.


Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.


Liebe Gemeinde, wie Marie Luise Kaschnitz Ostern auf einzigartig verhaltene Weise in Worte bringt – an dieses bekannte Gedicht wollen wir anknüpfen, es soll uns die Fährte sein:


Auferstehung mitten am Tage, die Weckuhren hören nicht auf, unsere Verhältnisse, die förderlichen wie die lähmenden, zerstörerischen, sie gehen weiter.


Ostern wird nicht alles anders! Was uns belastet und ängstigt, ist nicht auf einmal alles weg. Die Herausforderungen: Glaubensverlust, Pflegenotstand, Klimawandel, Gewalt bleiben. Christus ist kein Spider-Man, kein Superheld, auch kein sanfter Diktator, der von einfacher Hand alle Probleme löst. Nur das Gewohnte ist um uns, keine Fata Morgana des Himmels – so erst kann klar werden, was Auferstehung bedeutet:


Manchmal stehen wir auf
inmitten unserer Verhältnisse,
und dennoch leicht
und dennoch unverwundbar
geordnet in geheimnisvolle Ordnung
vorweggenommen in ein Haus aus Licht.


Offen und wach
aufmerksam und empfänglich
klar, bestimmt und zielgewiss
wohlorientiert und gehalten
unterwegs mit einer Kraft, die Zukunft hat
– Ostern wird alles anders!


Wer wünscht sich nicht, inmitten all der nur allzuvertrauten Verhältnisse auf diese Weise unterwegs sein zu können, befreit, beflügelt und beschwingt, voll Urvertrauen ganz bei sich und in vollem Bewusstsein anvertrauter Kräfte. Wer so unterwegs sein will, der muss schon tief verwurzelt sein, nicht durch Müdigkeit oder gar Burn-Out von tieferen Quellen abgeschnitten.


Es ist diese Beziehung zu tieferen Quellen, diese Verwurzelung und Gründung im Glauben, die das Geheimnis der Osterkraft ausmacht. Es ist nichts, das man einfach besitzen oder horten könnte. Es ist vielmehr eine Beziehung, die uns bestimmt, die Christus-Beziehung, die uns lebendig macht: Manchmal stehen wir auf, stehen wir zur Auferstehung auf.


Mit ihm lebendig fühlt es sich manchmal gar so an, als ob Steine wegrollen und Berge versetzt werden. Auf einmal öffnen sich Wege, die lange verschlossen waren. Eine Energie ist da am Werke, die von anderwoher kommt, die durch uns hindurchgeht und die Lebendigkeit schafft.


Für dieses österliche Auferstehung-Leben gibt es im Neuen Testament eine Kurz-Formel: in Christus, oder auch mit Christus, mit ihm lebendig. Dahinter steht die Vorstellung, zu einem Machtbereich zu gehören. In Christus, das bedeutet: in seinen Einflussbereich inkorporiert zu sein, von ihm her bestimmt werden. Mit der Taufe haben wir den Mächten des Todes abgesagt und gehören ganz zu Christus, dem Lebendigen, dem uns Lebendig-Machenden.


Was kann von daher Auferstehung für uns bedeuten?


1. Auferstehung ist, so sehr sie mit der Auferweckung Jesu ins Leben begann, kein vergangenes Ereignis, das zu unserer Betrachtung da wäre. Auferstehung ist vielmehr eine Bewegung, die mit anderen und mit uns passiert. Es bedeutet: aus dieser Christus-Beziehung heraus lebendig werden. Sich besinnen, spüren, aufatmen, Augen öffnen, sich anderen zuwenden.


2. Um eine Lebendigkeit geht es, die um den Tod weiß, die in der Lage ist, dem Tod mit größtmöglicher Nüchternheit zu begegnen. Wer mit Christus lebendig ist, braucht vor dem Tod nicht die Augen zu verschließen und braucht auch nichts hineinzugeheimnissen. Er kann genauer hinschauen, so wie das nötig ist in unserer von Zerstörung und Verbrechen gezeichneten Welt. Mit ihm lebendig bedeutet: auch da noch eintreten für Gerechtigkeit. Dem Bösen ins Angesicht widerstehen. Um die Kostbarkeit des Lebens wissen. Der Zerstörung gebührt die letzte Macht nicht.


3. Aus der Kraft Christi lebendig, das kann bedeuten: um Tod und Auferstehung wissen, also sich nicht mit einer Dimension allein zufrieden geben, sondern beides sehen, beides zugleich je für sich wahr-nehmen: Tod und neues Leben; Zweifel und Vertrauen; Krieg und neue Völkergemeinschaft, die kommen muss; Gewalt, die nur mit Gewalt einzuhegen ist, und erneuerte Vereinbarungen, die für alle Beteiligten Recht und Sicherheit bringen. Mit ihm lebendig – das bedeutet: zwei Aufgaben zugleich ins Auge fassen: die Notwendigkeit, der Angriffskriegsgewalt mit Gegengewalt entgegenzutreten (ohne geeignete Waffen geht das nicht) und das Wissen und die Herausforderung, dass Waffen allein nicht zu Frieden führen werden, also mehr nötig ist als Waffengewalt, eine tragfähige Lebensperspektive entwickelt werden muss und Schritte dahin.


Mit ihm lebendig – aufschlussreich ist, was Dietrich Bonhoeffer nach Bombenalarmen 1944 aus dem Gefängnis schreibt (Widerstand und Ergebung, Brief vom 29.5.1944): Ich beobachte immer wieder, dass es so wenige Menschen gibt, die viele Dinge gleichzeitig in sich beherbergen können; … wenn ihnen ein Wunsch fehlschlägt, sind sie nur verzweifelt; wenn etwas gelingt, sehen sie nichts anderes mehr. Sie gehen an der Fülle des Lebens und an der Ganzheit einer eigenen Existenz vorbei … Demgegenüber stellt uns das Christentum in viele verschiedene Dimensionen des Lebens zu gleicher Zeit; wie beherbergen gewissermaßen Gott und die ganze Welt in uns. Wir weinen mit den Weinenden und freuen uns zugleich mit den Fröhlichen. …das Leben wird nicht in eine einzige Dimension zurückgedrängt, sondern es bleibt mehrdimensional-polyphon. Welch' eine Befreiung ist es, denken zu können und in Gedanken Mehrdimensionalität aufrechtzuerhalten. … Man muss die Menschen aus dem einlinigen Denken herausreißen – gewissermaßen als "Vorbereitung" bzw. "Ermöglichung" des Glaubens, obwohl es in Wahrheit erst der Glaube selber ist, der das Leben in der Mehrdimensionalität ermöglicht und uns also auch (diese Feiertage) trotz Alarmen feiern lässt.


4. Mit ihm lebendig sein beinhaltet die Fähigkeit zur Hoffnung gegen allen Augenschein. Nicht Hoffnung ist das, die zum Narren hält, sondern eine tiefer gegründete Hoffnung, die ansagt, was kommen muss, weil es Recht ist, jetzt schon. So Martin Luther King am 28. August 1963:


I have a dream, that one day – dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter sich gemeinsam niedersetzen können am Tisch der Bruderschaft. … I have a dream, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt. … I have a dream, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel erniedrigt wird. – Was für eine Rede, wirkmächtig und doch bis heute nicht abgegolten!


5. Mit ihm lebendig – das beinhaltet die Fähigkeit zum dialektischen Sehen: sehen, was noch nicht ist, aber dazu bestimmt ist, werden zu können. Begnadete Lehrerinnen und Lehrer sind das, die in Kindern etwas entdecken und in der Lage sind, dies in ihnen freizusetzen. Mit ihm lebendig sein heißt: andere stark machen können.


Das kann bis zur Kraft des Prophetischen gehen: gegen allen Augenschein benennen, was unter der Oberfläche bereits unterwegs ist, ja schärfer noch: die Herrschenden auf ihre verschüttete Menschlichkeit ansprechen, weil, was sie durchzusetzen noch unterwegs sind, sich schon als überholt zu zeigen beginnt. Aus dieser Kraft haben in Südafrika Mitte der 1980er Jahre die Vertreter des Südafrikanischen Kirchenrates den Dialog mit den noch-herrschenden weißen Regierenden aufgenommen und mit Blick auf das im Tiefsten bereits überholte Apartheidsystem für dessen tatsächliche Überwindung gekämpft.


Mit ihm lebendig – das kann eine stille Kraft sein, eine Bewegung, auf die wir uns besinnen. Um die Kostbarkeit des Lebens wissen. Mehrere Dimensionen zugleich wahr-nehmen. Mit ihm lebendig – das kann aber auch eine große machtvolle Bewegung prophetischer Hoffnung sein.


Im Neuen Testament ist immer wieder vom Fischen und Essen die Rede, von Gemeinschaft und Teilen. Es sind Szenen sehr alltäglichen Lebens. Mit ihm lebendig ist genug für alle da, nicht mehr und nicht weniger. Amen.

 


 

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