Predigt am 14. August 2022 – 9. Sonntag nach Trinitatis

Pastor Frank Engelbrecht

„Talente vergraben gilt nicht!“ (Matthäus 25,14–30)

 

Die Gnade des Vaters, die Liebe unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

 

„Den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern!“

 

Welch düsterer Abschluss des Evangeliums für den heutigen Tag. „Der arme Kerl hat doch nichts geklaut. Er war nur scheu und ängstlich, dazu ehrlich. Als der Hausherr zurückkehrt verschleiert er nichts, sondern legt seine die Motive für sein zögerliches verhalten offen dar. Das Ganze dürfte den Hausherrn zudem nicht überrascht haben; immerhin hat er ihm von Beginn bewusst wenig zugeteilt, als er seine Schätze an seine Verwalter entsprechend ihrer Tüchtigkeit verteilte und ihm nur einen Teil gut. Gut, eine positive Überraschung wäre schön gewesen. Aber das ist doch kein Grund für einen solchen Furor. Wo bleibt da der liebe Gott, der gütige Jesus - mehr noch: kann das richtig sein, dass ein Gleichnis vom Reiche Gottes und die Logik kapitalistischen Geistes schmackhaft machen will: „Wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.“ (Matthäus 25,29) Und wer gut dastehen will vor dem Hausherrn - da dürfen wir getrost Gott, den Weltenrichter einsetzen - wer also vor Gott gut dastehen will, ist aufgefordert, sein Kapital zu mehren, und sei es nur durch geschickte Zinspolitik, vor allem aber durch Investition und Gewinnvermehrung. Wirtschaftswachstum als himmlisches Prinzip. Nein, das kann nicht sein.

 

Einer der Kommentare, die ich zum Text gelesen habe, versucht dementsprechend eine andere Deutung. Der Vorschlag lautet: der heimliche Held der Geschichte ist eben dieser dritte Verwalter. Er lehnt sich gegen die ungerechten Praktiken des Hausherrn auf. Dabei kommt er zwar unter die Räder und steht als Verlierer da im Vergleich zu den beiden erfolgreichen Mitläufern, die sich im Lichte ihres Erfolgs und der Anerkennung des kapitalistischen Hausherrn sonnen. Aber das ist eben der Preis, den dieser Mätyrer zu bezahlen bereit ist, während er mit entwaffnender Offenheit die strukturelle Gewalt entlarvt, in deren Systematik der Hausherr und seine anderen Verwalter die Schrauben von Gewalt und Profitstreben unter dem Deckmantel vermeintlichen Erfolgs immer weiter drehen und die Dunkelheit mehren, in der es für die Mittellosen ein Leben nur unter Heulen und Zähneklappern gibt. Aber warte nur, Du arroganter Hausherr - wer zuletzt lacht, lacht am besten. Kreuz und Auferstehung stehen für den Gott ein, der hinabgestiegen ist in eben dieses Reich des Todes, um Heulen und Zähneklappern den Gar aus zu machen und ein Reich der Liebe zu errichten, in dem die armen Verwalter der Wahrheit zu ihrem Recht kommen und das Gesetzt des Marktes aufgehoben ist zugunsten der Rechtfertigung des Sünders. Du bist, wie Du bist, noch vor aller Leistung, und ganz gleich, wieviel das Leben dir zuteilt, bist Du bedingungslos angenommen von dem Gott, vor dem Du Dich nicht rechtfertigen muss, weil er Dich in Glaube und Liebe bedingungslos gerecht spricht. Martin Luther lässt grüßen mit jesuanischem Trost: „Kommt zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch erquicken!“ (Matthäus 11,28)

 

Ein interessanter Versuch. Nur: wo bleibt die Provokation? Wo die Unruhe, die das Gleichnis lostritt, unsere Schrecken, unsere Empörung, oder bei dem einen oder der anderen vielleicht gar die Schadenfreude über das Schicksal des stoffeligen dritten Knecht? Wo die bleiben? Das ist doch gerade die Pointe des Evangeliums, dass es uns von der sensationslüsternen Betrachtung der Welt befreien will. Das Glück kann langweilig sein, aber deshalb wollen wir doch nicht das Drama mit Unglück wählen.

 

Aber dann bleibt doch immer noch ein weiterer Einwand: Was machen wir mit der äußersten Finsternis, in der Heulen und Zähneklappern herrschen. Denn dieses Reich der Grausamkeit ist doch tagtäglich bedrängender Teil der Realität unseres Lebens hier auf der Erde: Krieg, Hunger, Klimawandel mit Feuer und Flut, Krankheit und Pandemie und dazu unsere eigenen Sorgen, Allgegenwart von Krankheit, Zweifel, Streit und Tod. Wenn wir die Provokation all dessen in der Geschichte glätten, verschwinden sie längst noch nicht aus unserem Leben. Und das bedeutet, dass wir achtgeben müssen, dass uns das Band zwischen Geschichte und Wirklichkeit nicht abreißt bei dem redlichen Versuch, den Text zu „retten“ und so lange zu drehen, bis er unserem Glauben und unseren Erwartungen vom lieben Gott entspricht.

 

Deshalb schlage ich eine Alternative vor. Lasst uns das Gleichnis an seinem Hörnen packen, also genau da, wo es uns am meisten beunruhigt: das ist beim Schicksal des dritten Verwalters und dem Reich der Finsternis, in dem Heulen und Zähneklappern herrschen. Wenn wir das tun, verwandelt sich das Gleichnis augenblicklich von einem Text aus lang vergangenen Zeiten in eine Rede mitten aus unserer Gegenwart, die uns alles andere als fremd ist. Uns sind unfassliche Schätze in die Hände gelegt: mit dem Wunder unseres blauen Planeten, der wenigstens der Reichweite unserer Teleskope und unseres Forschungswissen einmalig ist mit der Vielfalt des Lebens, das er beherbergt. Darin eingebettet ist das Wunder unseres eigenen Lebens jedem von uns geschenkt ist für einen ganz und gar einzigartigen Abschnitt in der Zeit in der Geschichte des Universums und der Welt. Dieser Schatz will verwaltet und fruchtbar gemacht werden. Nicht nur für uns selbst, sondern für alle, die uns Lieb sind, mehr noch, zum Wohle des ganzen Anwesens, das wir Erde nennen. Aber was tun wir Menschen? Wir schließen Augen, Ohren Mund, vergraben unsere Verantwortung und leben, als gäbe es kein Morgen, oder anders, als gelte gerade mal, den heutigen Tag zu bestehen, und zwar so günstig wie möglich. Gewiss, auch ohne unser Zutun bleiben Schmerz, Krankheit und Tod Teil der Lebensbedingungen dieser Welt, und doch sind viele der großen Probleme - vom Krieg bis zum Klimawandel - hausgemacht und Ergebnis der Art, wie wir unsere Städte bauen, unsere Energie gewinnen und verbrauchen und unsere Prioritäten setzen. Wie mit Beton haben wir aus den Zeithorizonten von Legislaturperioden oder, noch kürzer, Wirtschaftszyklen oder Börsenberichten, unseren Blick auf die Zukunft zugemauert. Dabei sind wir mit alledem dort gelandet, wo der dritte Verwalter erst noch hingeworfen werden soll: Bei Heulen und Zähneklappern und finstersten Prognosen. Da hilft kein Gleichnis, das uns einfach nur beruhigt: „Alles gut! Gleichgültig, was kommt, und egal, wie es kommt, Gott liebt Dich und diese Welt, und wir kommen alle in den Himmel.“ Das ist zwar richtig, findet aber keinen Griff in der Wirklichkeit.

 

Andererseits: was hilft uns ein Jesus, der uns mit schaurigen Schreckgeschichten aufzurütteln versucht? Hiobsbotschaften und Unheilspropheten haben wir bereits mehr als genug; so Viele, dass wir hören schon gar nicht mehr hinhören, wenn einer ruft: „Wacht auf! Es ist längst fünf vor Zwölf!“ Ja, ja, alles klar, wissen wir. Hilft ja nichts. Weitermachen. Aber wir müssen auch nicht stehen bleiben bei der Alternative von Trostgeschichte hier und Schreckensvision da. Das Gleichnis weigert sich nämlich selbst - wie alle guten Geschichten übrigens -, sich auf so ein Entweder-Oder festlegen zu lassen. Stattdessen will das Gleichnis Trost und Aufrütteln miteinander ins Zusammenspiel bringen. Dabei schärft das Gleichnis den Trost, indem es eben diesen Trost herausfordert, sich dem Ernst des Lebens zu stellen. Trösten statt vertrösten. Wenn wir das tun, tritt nach vorne, was viel mehr jesuanisch ist als alle beschwichtigende Rede vom lieben Gott, der keiner Fliege etwas zuleide tut. Das ist die Zuversicht des Glaubens, die alles andere ist als Zweckoptimismus, sondern Gegenwart und Zukunft gestaltende Kraft. Und diese Zuversicht ist heute bereits eindrücklich zu Worte gekommen: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ (Markus 9,23) Das ist Dein Taufspruch Leni, mit dem Deine Taufe heute uns irdischen heute den Himmel aufgeschlossen hat. „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. (Markus 9,23) Diese Zuversicht des Glaubens steckt auch in unserem heutigen Gleichnis und verschafft ihm seine bewegende Kraft. Denn es ist der Glaube des Hausherrn in seine Verwalter, die ihn guten Gewissens auf Reisen gehen lässt. Er weiß sein Gut in guten Händen und ist gewiss: „Ihr macht das Beste draus - und keine Sorge, niemand wir übervorteilt, und niemand wird überfordert. Jeder so, wie es seinen Talenten entspricht!“ Dann fährt er los, und jetzt gilt‘s.

 

Ihr Lieben Eltern von Leni mitsamt der Paten, Ihr kennt das: Mit Leni ist Euch ein unfassbarer Schatz in die Hände gegeben, der wachsen will, damit aus diesem Kind eine Frau wird, die ihr Leben besteht und genießt und sich mit anderen an den Orten, an die sie gestellt ist, dafür einsetzt, dass diese Welt ein Zuhause ist und bleibt für alle, die mit ihr den Planeten teilen, inklusive aller, die nach uns und nach ihr kommen - darunter vielleicht sogar ihre eigenen Kinder. Was würden wir nun sagen, wenn Eltern die Talente ihrer Kinder vergraben, und wenn da keine Paten zur Stelle sind, um gegen zu steuern? Wir wären alarmiert, wie der Hausherr alarmiert ist und wüssten: hier können wir nicht tatenlos oder achselzuckend daneben stehen, sondern müssen einschreiten - zum Wohle der Kinder.

 

„Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ (Markus 9,23) Das gilt aber nicht nur im Persönlichen und mit unseren Kindern, sondern auch für das Große und Ganze. Ein gutes und menschengerechtes Leben - mit Würde im Leben und im Sterben, in Gesundheit und Krankheit - das ist auf dieser Erde möglich. Wir wissen auch längst, wie das gehen könnte. Allein, uns fehlt immer wieder der Glaube, der uns die Kraft, die wir brauchen, entschieden anzupacken und umzusetzen, was nötig wäre. Da kann einen manches Mal der Zorn packen und die Forderung laut werden, dass denen, die ihre Verantwortung verfehlen, diese Verantwortung genommen wird, so wie der Haussherr seinem dritten Verwalter am Ende aus den Händen nimmt, was er ihm vor der Abreise gegeben hat.

 

Aber genau dafür feiern wir heute doch: Gottesdienst und Taufe und erinnern uns darin selbst an unsere eigene Taufe. Genau dafür feiern wir heute, um uns dieser Zuversicht zu erinnern und den Glauben wieder zu finden, den wir brauchen, um aus der Lethargie des Zynismus des dritten Haushalters zu erwachen, der sagt: „Die Welt ist ungerecht, und die in ihr herrschen mitsamt ihren Strukturen sind grausam, hart und übermächtig, im Zweifel stehen sie selbst in unauflösbaren Sachzwängen. Da kann ich nichts machen!“

 

Von wegen: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ (Markus 9,23). Und das Reich Gottes ist wie ein Mann, der außer Landes geht, und uns alles, was er hatte, übergibt und uns dabei Mut macht, mit Zuversicht impft, mit Glauben erfüllt und spricht: „Ich freue mich schon auf den Tag, an dem ich wiederkomme. Dann ist diese Welt nicht heruntergewirtschaftet, sondern schöner als je zuvor - für mich, für Euch, für Eure Kinder und Kindeskinder! Abgemacht? Abgemacht! Give me five! Jetzt gilts, so wollen wir es ab jetzt halten. „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ (Markus 9,23) Das ist nicht allein Sache eines Einzelnen, sondern dazu gehört auch, dass wir uns alle gegenseitig in diesem Glauben stärken. Und deshalb sagen wir das alle jetzt noch einmal gemeinsam - wie im Chor der Engel -, damit diese Worte sich heute und für die Woche, die vor uns liegt, damit diese Worte sich tief in unsere Herzen einnisten:

 

„Eins, zwei, drei: Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ (Markus 9,23)

 

Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

 


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