Predigt am 18. September 2022 – 14. Sonntag nach Trinitatis

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

Text: Jesaja 12, 1-6 „Gott sei Dank!“

 


Liebe Gemeinde,

 

sitzen sie gut auf ihrem Stuhl? Sitzen Sie sicher oder wackelt er? Stühle sagen viel aus über uns, in unserer Sprache symbolisieren sie z.B. einen Zustand oder auch eine Rolle, die wir haben. Wenn wir sagen: sie sitzt ganz oben, vor Kopf, dann leitet sie oder sie ist das Familienoberhaupt. Wenn wir sagen: Sein Stuhl wackelt, dann sollte er sich vielleicht bald einen neuen Job suchen. Zwiegespalten sitzen wir manchmal zwischen zwei Stühlen und können uns nicht entscheiden. Gefährlich wird`s, wenn andere an deinem Stuhl sägen … Oder wenn zu wenig Stühle da sind, wie bei dem Spiel „Reise nach Jerusalem“ …

 

Was man mit Stühlen Kreatives anstellen kann, das zeigt die aktuelle Installation von PIA, einem Verein von Planerinnen, Ingenieurinnen und Architektinnen, tolle Frauen, die sich für nachhaltiges Bauen und Stadtentwickeln einsetzen. Sie haben unsere Kirchenstühle genommen haben, um Demut, Wagemut, Freude und auch Dankbarkeit auszudrücken. Das ist wirklich originell: demütig sich verbeugende Stühle, tanzende, tragende und hier vorne die dankenden. Dankbarkeit soll die Formation im Altarraum ausdrücken, Stuhllehnen wie betende Hände gen Himmel gerichtet …

 

„Gott sei Dank“ für diesen Morgen, für die Gemeinschaft hier in der Kirche, für meine geliebte Frau, meinen geliebten Mann, unsere Kinder und Enkel! Gott sei Dank für das Grün der Bäume, Blumen und Sträucher, auf dem Land und in der Stadt. Vielen Dank für die Wolken, für das Wohltemperierte Klavier und für die warmen Winterstiefel dichtet Hans Magnus Enzensberger in seinem schönen Gedicht. Für die vier Jahreszeiten, für die Erdbeeren auf dem Teller, gemalt von Chardin und für den Schlaf, für den Schlag ganz besonders, so geht es weiter.


Der Dank Enzensbergers erreicht seinen Adressaten nicht – „Empfänger unbekannt, Retour a L´expediteur“ steht oben drüber, wie auf einem Schreiben, das man von der Post zurückgesandt bekommt. An wen mag es gerichtet gewesen sein? Gesendet ins Unbekannte, ins Weltall, an verstorbene Komponisten wie Bach und Maler wie Chardin?

 

Wem danken Sie für die Musik, die Früchte der Natur, für Sonne, Mond und Sterne, liebe Gemeinde? Wem danken Sie dafür, dass sie geboren sind? Wem danken Sie für die Liebe zueinander, liebes Ehepaar Schirrmacher? Wem danken Sie für eine 60jährige Ehe, für geteiltes Glück und Leid, für Freude und Schmerz, gute und schlechte Zeiten? Wer dieses wunderbare Gefühl der Dankbarkeit im Herzen trägt, der braucht ein Gegenüber, einen Empfänger, eine Person, die zuhört und antwortet. Meinen überschwänglichen, inständigen Dank für das Glück geboren zu sein und lieben zu können, richte ich an Gott, von dem die Alten sagen, er hört hin, er sieht dich, er wirkt und webt die Fäden deines Lebens von Tag deiner Geburt bis zu deinem Tod, und darüber hinaus: Gott sei Dank!

 

Allerdings fällt dieser Dank in Krisenzeiten wie diesen ziemlich schwer. Die bestimmenden Gefühle zurzeit sind die Sorge und die Furcht. Wir sind über die Entwicklungen bei uns und in der Welt zutiefst verunsichert und fragen uns, wie wir den Winter meistern werden? Werden wir die enormen Energiekosten bezahlen können? Werden wir den Flüchtlingen aus der Ukraine ausreichend Unterkünfte anbieten können? Wird uns womöglich eine neue Coronawelle überrollen? Wie viele Menschen müssen noch sterben in dem furchtbaren Krieg Russlands gegen die Ukraine? Und das sind nur einige der Krisen, die uns zurzeit belasten.

 

Persönlich merke ich, dass ich den Sorgen und Bitten in meinem Abendgebet viel mehr Raum gebe als früher. Ich trage Gott an, was mir auf der Seele liegt und mich beschwert, lege es ihm vor die Füße in der Hoffnung, dass er sich meiner Bitten und unserer angespannten Lage annimmt. Der Dank fällt im Moment weniger euphorisch aus. Manchmal gleicht er eher einer Pflicht, so wie es uns als Kindern nahegelegt wurde mit Worten wie: Hast du dich auch ordentlich bedankt?  

 

Wie geht es Ihnen in diesen Tagen, liebe Gemeinde? Sind es auch eher Klagen und Wünsche, die ihr Abendgebet bestimmen? Oder haben sie das persönliche Gebet längst aufgegeben? Wo bleiben Sie mit Ihren Gefühlen und Gedanken im Rückblick auf den Tag, der vergangen ist, oder im Hinblick auf den Tag, der vor Ihnen liegt? Meine Empfehlung: Versuchen sie es mal wieder mit einem Gebet zu Gott. Die Bibel liefert uns dazu eindrückliche Beispiele, Psalmen, Klage- und Bittgebete, und auch prophetische Texte wie den heutigen Predigttext des Propheten Jesaja:

 

„Ich danke dir, Gott. Du bist zornig gewesen über mich. Möge dein Zorn sich abkehren, dass du mich tröstest. Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht“ – so beginnt dieses Gebet zu Gott und da ist alles drin: Der Zorn, den der Beter erfahren hat, also alle Not, alle Sorge, alle Furcht, alles, was ihn belastet und was er als Folge des Zornes Gottes versteht. Aber da ist auch das Andere: der Trost, die Rettung, die Heilung, die er durch Gott erfährt, so dass die Angst vergeht und er sich wieder sicher fühlen kann. Denn er weiß, Gottes Zorn über den Zustand dieser Welt, über Krieg, Gewalt, Zerstörung, Bosheit und Unrecht auf Erden wird nicht die einzige und schon gar nicht die letzte Reaktion Gottes sein. Sondern Gott wird sich ihm und dieser Welt zukünftig wieder anders zuwenden, sie trösten, ihnen Gewissheit und Sicherheit geben, ihnen Freude schenken, die sie wie Wasser schöpfen werden aus einem Brunnen und den Quellen des Heils. Und dann werden sie neue Kraft schöpfen, aufatmen und sich aufrichten, eine innere Stärke und Zuversicht spüren, sich darüber wundern und staunen. Und sie werden Gott wieder danken und loben und seinen Namen kundtun unter allen Völkern und seine Herrlichkeit preisen. Ja, geradezu überschwänglich rühmt, jauchzt, lobsingt und jubelt Jesaja ein „Gott sei Dank!“ am Ende dieses Psalms.

 

Auffällig ist: Jesajas Dank bezieht sich nicht nur auf das, was er und andere in der Vergangenheit durch Gott erlebt haben. Er macht hier – gut prophetisch - eine Aussage über die Zukunft: „In jenem Tage oder zu jener Zeit werdet ihr sagen: ich danke Dir, Gott!“ Sein Dankgebet steht gleichsam unter einem positiven Vorzeichen, einer guten Prognose. Das finde ich bemerkenswert, denn tatsächlich waren die Zeiten damals nicht weniger krisenbeladen als unsere. Aber Jesaja antwortet darauf nicht, indem er die Spirale der Unsicherheit und Sorge, der düsteren Aussichten und Erwartungen noch weiterdreht, sondern indem er eine andere Stimme erklingen lässt:


Das Leben ist hart, ja! Nicht nur Gott, auch wir haben Grund zornig zu sein. Aber deswegen soll nicht die Klage die Grundmelodie unseres Lebens sein, sondern die Zuversicht. Denn in allem, was uns widerfährt, sind wir von Gottes Heil umgeben, von seiner schöpferischen Kraft, seinem wohltuenden Wort, einer Hand, die uns führt und hält, im Dunkel der Nacht und im Licht des Tages, auf den Flügeln der Morgenröte wie am äußersten Meer. Lass dich mitnehmen, berühren, bewegen, motovieren, stärken. Von einem Gott, der Wunder tut, der dich liebt, der dir vergibt, der dich tröstet, der Frieden wirkt, auch in diesem Moment, in dir und auf der ganzen Welt.

 

Diese Haltung wünsche ich Ihnen allen, insbesondere denen, die zwischen zwei Stühlen sitzen und sich nicht entscheiden können. Allen, deren Stuhl wackelt und umzufallen droht und allen, die heute stehen müssen, weil sie keinen Platz mehr gefunden haben – ihr dürft gewiss sein, an Gottes Tafel ist auch für Euch gedeckt und werdet seine Gäste sein.

 

Amen.

 


Fürbittgebet

 

Großer Gott,

 

wir danken dir für diese Welt, das Wunder der Schöpfung, dafür dass wir geboren wurden und Teil haben an der Schönheit und Würde der Natur. Wir danken dir für die Liebe zwischen uns, für unsere Familien und Freunde, für das Glück, Kinder zu haben, für jeden Morgen und jeden Abend, den du werden lässt für uns.

 

Wir bitten dich um deine rettende Gegenwart. Setz dich in unsere Mitte. Komm zur Hilfe, wo Fluten alles zerstören, wo die Felder verdorren, die Wälder brennen, die Fische sterben. Lass deine Erde und unsere Stadt aufblühen und hilf uns, den Klimawandel zu stoppen.

 

Wir bitten dich um dein tröstliches Nahesein. Nimm Platz an unserer Seite.
Sei bei den Menschen, die sich vor den kommenden Tagen und Wochen fürchten, die nicht wissen, wie sie die vor ihnen liegenden Aufgaben bewältigen sollen.
Sei bei denen, die um einen geliebten Menschen trauern.
Lass sie wieder Kraft schöpfen und schenke ihnen Hoffnung.


Wir bitten dich um deine Liebe. Nimm Platz in den Herzen derer, die alleine sind und einen Menschen suchen, der zu ihnen passt. Sei bei denen, die sich voneinander entfernen und aus den Augen verlieren, die sich schuldig fühlen, die sich streiten. 

 

Wir bitten dich um deinen Frieden. Nimm Platz am Tisch der Mächtigen und hilf ihnen, zum Frieden zu finden. Schütze Recht und Gerechtigkeit. Setze dich neben die Menschen, die hungern und Gewalt erleiden. Gib ihnen Kraft und stärke sie.

 

Amen.

 


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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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