Predigt am 27. November 2022 – 1. Advent

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

Gottesdienst mit Kirchenwahl und Vorstellung der neuen Konfirmandinnen und Konfirmanden


„Ich stehe vor der Tür und klopfe an“ (Offb 3, 14-22)

 


Liebe Gemeinde,

 

es klingelt, aber ich erwarte niemand. Es ist schon dunkel, ein später Nachmittag im November, und ich habe mich gerade gemütlich aufs Sofa gesetzt. Gehe ich hin? Mache ich auf? Lasse ich heute noch jemand hineinschauen oder gar eintreten? Wer weiß, wer da vor meiner Tür steht? Jemand der mir Gutes will oder eher Böses? Vielleicht ist es nur ein Kurier, der noch ein Paket überbringt, oder eine Freundin will mich überraschen, oder ein Mensch braucht meine Hilfe?

 

Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an, spricht Christus hier in diesem Brief an die Gemeinde zu Laodizea. Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an, heißt es an diesem 1. Advent 2022. Hören wir‘s? Vernehmen wir sein Klopfen und öffnen wir? Lassen ihn herein? Teilen Brot und Wein mit ihm? Oder lassen wir die Tür lieber zu, weil wir fürchten, er könnte uns bloßstellen, beschämen und auf all das hinweisen, wofür wir uns in diesen Tagen schämen müssen: die Bedrohung der Schöpfung, der grausame Krieg, die Not und Scham der Flüchtlinge an unseren Grenzen, unser Leben im reichen Westen auf Kosten des armen globalen Südens… Advent – das war früher eine Zeit der Buße, des Fastens, der Umkehr. Deswegen heute dieser Text aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes.

 

Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an, spricht Christus in diesem Brief an die Gemeinde zu Laodizea in Kleinasien, also im Südwesten der heutigen Türkei. Die Bewohner von Laodizea mussten sich einiges anhören in diesem Sendschreiben. Der Verfasser wählt ziemlich deftige Worte: Lau seid ihr, wirft er ihnen vor, nicht kalt, nicht warm, sondern lau. Lauwarmes Wasser galt in der antiken Medizin als Brechmittel. Dazu passt die Ankündigung: Ich werde euch ausspeien aus meinem Munde. Im Griechischen steht sogar das Wort „kotzen“. Das ist ziemlich krass – was wird ihnen denn vorgeworfen?

Die Stadt ist äußerlich gesehen reich, die Wirtschaft und der Handel florieren, man hat es zu etwas gebracht in Laodizea. Aber innerlich sind sie arm, blind und bloß. Es geht ihnen ein wenig wie in Hans Christian Andersens Märchen, von des Kaisers neuen Kleidern: sie lassen sich verführen und umgarnen und sehen die Nacktheit des Kaisers und ihre eigene Blöße nicht. Sie lassen sich blenden von Wohlstand und Macht, von Götzendienst und Kaiserkult. Wenn sie schon im Kaufrausch sind, sagt der anklopfende Christus, dann sollen sie etwas anderes erwerben, und zwar von ihm: das Gold der Erkenntnis, weiße Kleider der Vergebung und Augensalbe zum Sehen der Wahrheit. Denn sie sind verblendet, sie erkennen nicht, wie leer und ausgebrannt sie tatsächlich sind, haben ihre Sehnsucht verloren, sie sehen die Not ihrer Nachbarn nicht, sind blind für das, was wirklich zählt, gottvergessen.  

 

Der, den sie vergessen haben, hat aber sie nicht vergessen, denn er liebt sie. Weil er sie liebt, ermahnt er sie, weist er sie zurecht, weist sie auf ihre innere Armut und Leere hin, und fordert sie auf umzukehren: Ändert Euren Sinn, stellt euch nicht der Welt gleich, lasst euch nicht von äußerem Reichtum, von Gold und Silber verführen, sondern lasst mich eintreten. Er klopft an ihre Tür, und bittet um Einlass. Und wer ihn hereinlässt in sein Haus, in sein Herz, der wird ein anderer Mensch, verwandelt, ihm wird vergeben, er wird angenommen und geliebt, er wird neben Christus sitzen und mit ihm das Abendmahl teilen, er wird reich werden an Glauben, an Liebe, an Hoffnung.

 

Nun im Advent 2022 klopft er an unsere Tür, hören wir’s? Vielleicht klopft er in Gestalt der Konfirmandinnen und Konfirmanden, die sich uns heute vorgestellt haben, die am Anfang ihrer Konfirmand:innenzeit leibhaftig vor unserer Kirchentür stehen und wahrscheinlich einige Fragen an uns haben: Woran glaubt ihr, worauf hofft ihr, wofür steht ihr?, könnten sie uns fragen. Und wofür steht eigentlich diese Evangelische Kirche? Welche Bedeutung hat sie noch in unserer säkularen und multikulturellen Gesellschaft? Haben wir darauf überzeugende Antworten, liebe Gemeinde? Verständliche, klare Worte, keine lauwarmen, feigen Vertröstungen, sondern Positionen, Haltungen, Werte, die Orientierung geben in einer unübersichtlichen Welt?
Hoffentlich haben wir`s, wir sollen es jedenfalls versuchen! Ich bitte Euch, liebe Konfis: Stellt uns Fragen, fordert uns heraus, und gebt euch nicht zu früh zufrieden. Fordert ein klares Ja oder ein klares Nein, und dann erzählt uns, was euch bewegt, was euch besorgt und wonach ihr euch sehnt. Wir brauchen eure Neugier, eure Energie, eure kritischen Fragen, damit wir nicht träge werden, und diese Welt nur noch vom bequemen Sessel aus mit likes und dislikes kommentieren.

 

Vielleicht klopft er auch in der Person der Studentin an unsere Tür, die uns ganz konkret danach fragt, wie wir den Klimawandel stoppen wollen, worauf wir als Einzelne und als Gesellschaft zu verzichten bereit sind. Vielleicht klopft er an in den Aufrufen zur Umkehr und Einsicht, dass wir so auf dieser Erde nicht weiterleben können, sondern umsteuern sollten, um mit der Natur und mit unseresgleichen in Frieden zu leben.

 

Vielleicht klopft er an in Gestalt all derer, die sich heute zur Wahl stellen? Auch die 20 Frauen und Männer stehen ja gewissermaßen vor der Tür und bitten um Einlass, wollen die Zukunft unserer Kirche, unserer Gemeinde, unseres Gemeinwesens mitgestalten, ehrenamtlich, in ihrer Freizeit, an Abenden und Wochenenden, - welch ein hoffnungsvolles, adventliches Zeichen! Das Problem ist, dass zwar alle 20 in St. Katharinen willkommen sind und gebraucht werden, aber nur 15 von Ihnen/von Euch in den Vorstand gewählt werden können. So ist das leider in der Demokratie – aber, anders als in der Politik, gibt es bei einer Kirchenwahl keine wirklichen Verlierer. Denn der, der klopft und uns aufsucht, steht ja für etwas anderes. Er hat z.B. gesagt: Die letzten werden die ersten sein. Oder zu den Jüngern, die darüber stritten, wer von ihnen der Größte sei, sagte er: Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein (Mk 10,43).

 

Bei Christus kommt es nicht auf darauf an, die meisten Stimmen oder den größten Erfolg vorzuweisen, sondern es kommt auf das an, was du im Herzen trägt, was dich innerlich bewegt, was dich innerlich reich macht, deine Zuversicht, dein Urvertrauen, deine Liebe zum anderen, deine Hoffnung auf eine bessere Welt. Und die soll nicht lau, sondern eindeutig sein, entweder kalt oder warm.

 

Ich kann das im Blick auf die Liebe, die Christus ja verkörpert, gut nachvollziehen: man kann seinen Partner z.B. nicht nur ein bisschen lieben, sondern ganz oder gar nicht. Da mag es in einer Liebesbeziehung Krisen geben, leidenschaftliche Auseinandersetzungen, Stress und auch mal laue Langeweile, aber mit einem Jain gäbe sich niemand von uns zufrieden: Er liebt mich oder er liebt mich nicht – dazwischen gibt’s nichts.

 

So verstehe ich das Klopfen Christi im Advent wie ein liebendes, aber entschiedenes, unablässiges Bitten um Gehör, ein drängendes Werben um Einlass. Ich schlage vor: Wir lassen ihn herein, machen die Tore hoch und die Türen weit. Er verheißt uns eine ungeahnte Fülle, neuen Glauben, vergebende Liebe und eine starke Hoffnung.

 

Amen.

 


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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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