Abschied aus St. Katharinen nach 20 Jahren

Neue Wege für Pastor Frank Engelbrecht

Bild: Catrin-Anja Eichinger

„Wir haben hier keine bleibende Stadt“ (Hebräer 13,14)

Nach der Sommerpause verlasse ich die Hauptkirche St. Katharinen und gehe als Pastor in die Gemeinde der Kirche am Blankeneser Markt. Hinter mir liegen 20 ereignisreiche und prägende Jahre des Aufbruchs und Aufbaus, vor mir ein spannender und vielversprechender Neuanfang für die mir verbleibenden Jahre als hauptamtlicher Pastor unserer Kirche. An der Schwelle zwischen Abschied und Neubeginn möchte ich mit den folgenden Worten meinen Dank für Gewesenes aussprechen und einen Ausblick auf das Neue geben.


Seit dem 1. April 2003 bin ich Pastor in der Hauptkirche St. Katharinen. 20 Jahre habe ich mich dafür engagiert, einem Glauben auf der Spur zu sein, der Kirche vom Menschen her denkt, Kirche und Stadt verwebt, Debatten nicht scheut, Tradition mit Gegenwartskultur zusammenbringt, Grenzen achtet und zugleich immer wieder neu, beherzt und mit Humor überschreitet: in der Nachfolge des Gottes, der als Ausdruck seiner weltenerschaffenden Liebe die Grenzen der göttlichen Ewigkeit hinter sich lässt, den Eintritt in die Zeit mit ihren Freuden und Schmerzen wagt und Mensch wird.


In diesem Sinne ist es mir eine bis heute bleibende Herzensangelegenheit gewesen, die Kirche als öffentlichen Raum mit geistlicher und kultureller Prägung zu denken, die Kraft, Anmut, Würde und zerbrechliche Schönheit der von 2007 bis 2012 grundsanierten Katharinenkirche in den Ring der Debatten um die Entwicklung unserer Stadt zu werfen und einer sozial, ökologisch und kulturell nachhaltigen Stadtentwicklung nach menschlichem Maß geistlichen Rückenwind zu geben.


Dafür haben wir mit Blues, Jazz, Swing-Jazz, Gospel, Soul und Klassik Gottesdienste gefeiert und dabei dem Fall der Mauer und dem Tag der Befreiung gedacht, wir haben Osternächte durchwacht und sie zu OsterKulturNächten weiterentwickelt, in denen wir Themen der Zeit mit Schauspiel und Musik, Literatur, Gespräch, Gebet und Performance durchwirkt und den Osterruf zur Mitternacht und zum Sonnenaufgang über die Stadt ausgerufen haben.


Wir haben „der Stadt Bestes gesucht“ (Jeremia 29,7) und uns als Mitbegründer der gemeinnützigen Vereine Netzwerk HafenCity e.V., Altstadt für Alle! e.V. und der Genossenschaft Gröninger Hof e.G. für die Stärkung zivilgesellschaftlicher Institutionen engagiert. Wie Paulus auf dem Areopag (Apostelgeschichte 17) sind wir in die Stadt gegangen und haben die Vielfalt der Welt in die Kirche eingelassen, um St. Katharinen als Ort für Debatte mit Kunst, Kultur, Wissenschaft und Politik zu öffnen. Wir haben den Kirchhof begrünt, ihn mit unserem Katharinenmarkt am Dienstag belebt und Straßen gesperrt, oder besser: wir haben sie in verkehrsberuhigte Zonen verwandelt und zur Nutzung für alle mit Tanz, Spiel, Musik und Debatte geöffnet. Wir haben erfolgreich für eine angemessene Bebauung des Katharinenviertels nördlich der St. Katharinenkirche gekämpft und dafür den Katharinenweg erfunden, auf dem wir regelmäßig vom Rathaus bis zur Harburger Schlossinsel geradelt sind und dabei Visionen von einer Stadt entwickelt haben, die nachhaltig zusammenwächst, Blues-Harp, Saxophon und Cajon waren stets im Gepäck.


In alledem haben wir uns von der Lust der Kinder am Spiel inspirieren lassen: „Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen“ (Markus 10,15). Wir haben die erste Kita in der HafenCity mitbegründet, Fußball gespielt und Public Viewings zur WM organisiert und beim Bau des Bolzplatzes in der HafenCity geholfen. Wir haben uns an die Hoffnungsworte Martin Luthers erinnert – „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“ – und mit den Kindern des Stadtteils Bäume zum Reformationstag in der HafenCity und an unserer Kirche gepflanzt und mit Jugendlichen die Gottesdienste am neuen Feiertag zum Reformationstag gefeiert.


Schließlich haben wir – wie der Jesus, der in seinem ersten Wunder im Evangelium des Johannes die Hochzeitsparty rettet, indem er für Nachschub sorgt und Wasser zu Wein macht – unser Gemeinde- und Stadtteilfest „Katharina feiert“ und viele weitere Feste genossen.


Kurz: Ich habe meine Arbeit in St. Katharinen geliebt. Die Menschen in Stadt und Gemeinde sind mir ans Herz gewachsen. Im lebendigen Zusammenspiel mit Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeitenden und vielen Engagierten in Gemeinde und Quartier ist viel entstanden und gelungen, Saaten sind aufgegangen.


Aber: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde“ (Prediger 3,1). Und so ist jetzt für mich die Zeit gekommen, bekannt zu geben, dass ich neue Wege gehe. Die Kirchengemeinde Blankenese hat mich angesprochen. Da habe ich nach reiflichen Überlegungen zugesagt. Nach meinem Vorstellungsgottesdienst in Blankenese am 23. April hat Bischöfin Kerstin Fehrs inzwischen das positive Votum des Kirchengemeinderats aufgenommen und mir die bischöfliche Ernennung als Pastor in Blankenese zugesprochen.


Damit erweitert sich für mich die Bedeutung des Wortes, welches die Katharinengemeinde 1956 zur Wiedereinweihung nach dem Wiederaufbau der im Feuersturm 1943 ausgebrannten Kirche als Überschrift über dem Eingang im Turmraum eingetragen hat. Das ist mir in den letzten 20 Jahren immer weiter ans Herz gewachsen:


„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die kommende suchen wir“ (Hebräer 13,14).


Bisher hatte ich diese Botschaft als Aufgabe für den Ort und meine Rolle als Pastor verstanden, St. Katharinen beim Aufbruch der Stadterneuerung in Altstadt, Speicherstadt und HafenCity zu begleiten.


Mit meinem Abschied aus St. Katharinen kommt für mich jetzt beim Hören des Wortes aus dem Hebräerbrief eine weitere Dimension dazu: Die Botschaft trifft mein Leben und meine berufliche Entwicklung. Für mich ist hier keine bleibende Stadt, sondern die kommende suche ich. Von daher folge ich dem Ruf in eine neue Aufgabe an einen neuen Ort nach Blankenese: „Mitten im Leben. Mitten im Ort. Verbunden mit Gott und der Welt.“ So lautet das Motto der Kirchengemeinde.


Ich freue mich auf die Menschen, ihre Neugier, ihre lebendigen Traditionen und Lust auf Erneuerung, auf die gemeinsame Suche nach Orientierung in Zeiten des Umbruchs, in denen ich uns im Großen wie im Kleinen hier in Hamburg und weltweit sehe. Ich freue mich auf Impulse aus Gemeinwesen und Gemeinde in Kitas, Schulen, Hospiz, lokaler Politik, Vereinen und Stiftungen, Jugendarbeit, Gemeindeakademie und der Akademie der Bundeswehr.


Hier ist ein guter Ort, um weiter daran zu wirken, dass wir uns auf die Suche machen nach der „zukünftigen Stadt“, in der wir den vermeintlichen Gegensatz von Natur und Kultur, von Stadt und Land aufweichen – das neue Jerusalem verwebt sich mit dem Garten Eden –, darin Gastfreundschaft üben, das Fremde und die Fremden nicht fürchten, sondern willkommen heißen (Matthäus 25,35): mit Gottesdienst, Musik, Kunst und Kultur, Diskurs und gelebter Nachbarschaft in Kirche und Stadtteil; und indem wir die Kinder, Alten und wen wir sonst noch als vermeintlich Schwache identifizieren, in ihrer Schönheit und Stärke erkennen, als mögliche Türöffner zum „Himmelreich“ (Matthäus 5,3ff).


So richte ich meinen Blick mit Wehmut und mit gutem Mut nach vorn, um am neuen Ort die gemachten Erfahrungen und erworbenen Talente weiter zu entwickeln und fruchtbar zu machen; und um zu lernen und Neues zu entdecken: auf dass Glaube im Leben von Kirche und Stadt immer wieder neu konkrete Formen annehme, die Theorie sich an der Praxis entzünde und umgekehrt, kurz „das Wort Fleisch werde und unter uns wohne“ (Johannes 1,14), für mich jetzt an diesem neuen Ort etwas weiter westlich die Elbe hinab.


Nach der Sommerpause machen meine Familie und ich uns auf dem Weg. Ich danke Gott und allen, denen ich in St. Katharinen begegnen durfte: für herzliche Freundschaften, für gemeinsames Lachen, Weinen, Bangen und Hoffen, Streit und Versöhnung, für Engagement, Kreativität, Musik, Diskussion, Nachdenklichkeit, Ausgelassenheit und Zuversicht. Möge Gott seinen Segen über St. Katharinen, ihre Stadt und die Menschen ausspannen, die in ihr ein- und ausgehen; und möge er uns allen seine Engel schicken, dass sie uns behüten, auf allen unseren Wegen, wohin auch immer sie uns führen (Psalm 91,11).


Bei alledem wollen wir nicht vergessen, das Leben zu feiern. Ich freue mich, wenn ich viele von Ihnen und Euch am 6. Juli bei „Katharina feiert“ sehe, unserem 15. Gemeinde- und Stadtteilfest für Altstadt, Speicherstadt und HafenCity, und beim Gottesdienst anlässlich meiner Verabschiedung am 10. September in St. Katharinen.

 

 

Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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