Predigt am 28. Mai 2023 – Pfingstsonntag

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

“Gottes Geist – geschenkte Energie“, Text: 1. Kor 2, 12–16

 


 

Wer oder was gibt Ihnen Energie, liebe Gemeinde?


In einem Artikel las ich kürzlich, dass das Wort „Energie“ als „Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet wird – und tatsächlich: Wenn wir die Schlagzeilen, Berichte und Debatten unserer Tage aufmerksam verfolgen, muss man diesem Urteil unweigerlich zustimmen. Dieses Wort taucht überall auf. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele: Energiekrise, Energiepreise, Energiewende. Wir beschäftigen uns mit fossilen und erneuerbaren Energien, hören von Energiekonzernen, Energiespeichern, Energieträgern, Energiewandlern, von Atom-, Sonnen-, Wind und Wasserenergie. Über die Gesetzgebung zur Energiereform ist gerade ein heftiger Streit entbrannt und man weiß gar nicht mehr, geht es da noch um die Sache oder sollen eigene parteipolitische Interessen durchgedrückt werden? Eine ziemlich energiegeladene Debatte.


Außerdem: Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges und dem Ende der russischen Gaslieferungen nehmen wir das Energiesparen erst so richtig ernst. Wir messen und reduzieren unseren Energieverbrauch, wo immer wir können. Auch in St. Katharinen wurde Energie gespart. Dieser Raum wurde im Winter kaum noch geheizt, der Turm nicht mehr beleuchtet und regelmäßig lesen wir unsere Verbrauchswerte ab. Und zu Hause, liebe Gemeinde? Da stehen wir vor denselben Herausforderungen wie in Politik, Wirtschaft und Kirche: Wir müssen Energie sparen und können doch nicht leben ohne sie.


Energie ein Schlüsselwort und ein Schlüssel für nachhaltiges Leben auf dieser Erde. Wikipedia definiert sie als „eine physikalische Größe, die in allen Teilbereichen der Physik sowie in der Technik, Chemie, Biologie und der Wirtschaft eine zentrale Rolle spielt“. Aber nicht nur dort – sie reicht ja doch viel weiter, ist noch tiefgehender, bestimmt unseren Biorhythmus beispielsweise. Bei mir löst beispielsweise Schokolade einen sehr angenehmen Energieschub aus. Es gibt so einen köstlichen Schokoriegel, für den der Werbeslogan zu Recht lautete: er gibt verbrauchte Energie sofort zurück. Was gibt Ihrem Körper, ihrem Geist, ihrer Seele Energie, liebe Gemeinde? Ein Kuss kann bei mir Energieströme auslösen oder auch nur eine zärtliche Berührung, und natürlich die Musik, die Körper und Seele bewegt. Energie lässt unser Herz höherschlagen und erhebt unsere Seele.


Ich kann mir mit Hilfe dieses Begriffs das Phänomen des Geistes, über das wir Pfingsten staunen, ein wenig erklären, liebe Gemeinde: Den Geist Gottes könnte man als die Energie allen Lebens, ja des Universums bezeichnen: Er ist schöpferisch und setzt den Anfang von allem. Er schenkt das, was mit dem altgriechischen Wort energeia gemeint ist, „eine lebendige Wirklichkeit und Wirksamkeit“. Er gibt Kraft, setzt in Bewegung, gibt mir Schwung, schenkt Begeisterung und Leidenschaft, wirkt anspornend und dynamisch, stärkt meinen Willen, macht mir Mut, gibt mir Wärme. Er ist unsichtbar und doch spürbar. Aber wie!


In der Bibel wird der Geist Gottes daher auch als Feuer beschrieben, das in uns brennt, das Funken überspringen lässt. Er wird mit dem Wind verglichen, der weht wo er will. Erst gleicht er einem Säuseln, dann einem Sturm. So erzählt es die Apostelgeschichte: Die Jüngerinnen und Jünger wurden von ihm umweht und erfüllt und fingen an, zu predigen, in den Sprachen all derer, die in die Stadt Jerusalem gepilgert waren. Sie sprachen so begeistert von Jesus Christus, dass man sie für betrunken hielt. Was für eine Energie wurde da versprüht, geteilt, verbreitet!


Pfingsten erinnern wir an dieses Gründungsdatum der Kirche, an Erfahrungen, die Menschen unterschiedlicher Nationen und Kulturen damals zusammengeführt haben und uns bis heute in einer weltweiten Kirche verbinden. Insbesondere in Korinth begegneten sich unterschiedliche Philosophien und Weltanschauungen. Wahrscheinlich kann man die damalige Gesellschaft durchaus mit der unsrigen vergleichen: ein bisschen Christentum, daneben zahlreiche andere Denkrichtungen und religiöse Praktiken, viel freigeistiger Humanismus, wahrscheinlich auch viel Materialismus und Fortschrittsglaube. Da wirkt nicht nur ein Geist, sondern da wirken viele verschiedene Geister. Kaum zu überblicken. Was macht den Geist Gottes aus in einer solchen Umwelt? Woran erkennen wir ihn?


Paulus weist auf zwei Momente hin, die auch zum Wesentlichen meines Glaubens gehören:
Zuerst: „Wir haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist“. Den Geist der Welt und des natürlichen Menschen können wir beeinflussen, steuern, bilden und formen. Den göttlichen Geist nicht. Über ihn können wir nicht verfügen, er ist unverfügbare, geschenkte Energie. Er lenkt unseren Blick so auf all das, was wir ohne eigenes Zutun sind und empfangen: Unsere Lebendigkeit, unser eigenes Wesen, unseren persönlichen Charakter. Als Eltern das Wunder einer Geburt zu erleben und ein gesundes Kind im Arm haben, Jesper auf Erden begrüßen zu dürfen und in unsere Kirche aufzunehmen. Gottes Geist wirkt Eure unbändige Liebe zu ihm und zueinander, liebe Sarah, lieber Björnar, diesen Segen, dieses Glück, Eure Dankbarkeit und Freude, und unsere Empathie, dass wir uns mit Euch freuen, unsere Bitten und Wünsche für Jesper - all das sind Wirkungen des göttlichen Geistes, all das wird uns, wird Euch geschenkt. Durch Gottes Geist wissen wir: das Wesentliche im Leben widerfährt uns als Geschenk.


Das führt zu dem zweiten Gedanken, nämlich dem spezifisch christlichen Moment. Paulus schreibt: Die mit Gottes Geist leben, haben Christi Sinn, haben Christus im Sinn. Er hilft uns, das anzusehen und anzunehmen, was unserem Glück und Segen scheinbar entgegensteht. Christus hilft uns mit all den Brüchen, Widersprüchen und Sinnlosigkeiten umzugehen, die uns zustoßen, mit den Traurigkeiten, Schmerzen und Wunden, die uns das Leben zufügt, mit all den Kreuzen, die wir zu tragen haben. Er gibt uns die Energie aufzustehen und in den Widerstand zu gehen, wo Menschen Schaden zugefügt wird, wo sie gedemütigt werden, wo ihnen ihre Würde genommen wird als Opfer von Gewalt, als Flüchtling oder als Sklave. Er gibt uns die Hoffnung, dass aus dem Tod neues Leben entsteht. Durch Christi Geist wissen wir: im Leben und im Sterben bleiben wir in Gottes Hand.


In der Bachschen Mottete, die wir gleich hören, wird das mit Worten des 103. Psalms ausgedrückt: Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten. Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind (11f.). Der Mensch ist wie eine Blume auf dem Felde, die eines Tages vom Wind verweht wird. Gott aber ist von Ewigkeit zu Ewigkeit für die, die an ihn glauben.
Besingen, loben und danken wir heute also Gottes Geist, seine Geistkraft ist die Energie unseres Glaubens. Sie lässt unser Herz höherschlagen und erhebt unsere Seele zu Gott. Sie möge Jesper erfüllen alle Tage seines Lebens. Sie möge Euch alle erquicken und erbauen und sie möge uns und unserer Kirche immer wieder zur lebendigen Quelle werden. Amen.

 


Download Predigt (PDF)

 

 

Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
Besucherinformationen