Predigt am 2. Juli 2023 – 4. Sonntag nach Trinitatis

Pastor i.R. Sebastian Borck

Allzeit bereit zur Rechenschaft über die Hoffnung – Sind wir das? Können wir das?

 


 

Predigt über 1. Petrus 3, 15


Seid allzeit bereit
zur Verantwortung vor jedermann,
der von euch Rechenschaft fordert
über die Hoffnung, die in euch ist!


Allzeit bereit zur Rechenschaft über die Hoffnung, liebe Gemeinde, sind wir das? können wir das?


In fünf Schritten will ich mit Ihnen darüber nachdenken:


I. Allzeit bereit – ich weiß noch, wie uns als angehenden Pastor*innen das lächerlich erschien. Ernst gemeint kann das doch gar nicht sein: immer bereit – als ob nicht auch mal Pausen, Schlafen und Urlaub nötig wären. Rund um die Uhr im Dienst – so grenzenlos kann kein Pastor sein. Und das ist auch nicht zu verlangen.


Später erst, verantwortlich für die Krankenhausseelsorge, ist mir vollends klar geworden, wie wichtig es sein kann, dass es Seelsorgerinnen und Seelsorger gibt, die da, wo z.B. Kinder ge-boren werden und wo auch etwas schwierig werden kann, jederzeit, auch mitten in der Nacht, sofort zur Stelle sein können. Allzeit bereit – das kann nicht einer, das ist nur mit mehreren zu organisieren.


Ich habe eine große Achtung vor Feuerwehrleuten, Rettungssanitätern, Ärztinnen, Seelsorgern, die sofort kommen. In ihrem Alltag müssen sie dem eine Priorität vor allem anderen geben.


Auch das allzeit bereit bei Paulus hat wohl etwas von dieser Priorität und meint nicht etwa dauerhafte Anstrengung. Allzeit bereit heißt: nicht etwa an irgendwelche Bedingungen geknüpft, sondern jederzeit frei heraus.


Es ist fast so, als ob diese Rechenschaft von der Hoffnung etwas wäre, zu der man sich fallen lassen kann!


II. Wir denken Hoffnung konkret, blicken auf unsere kommenden Tage und Wochen, hoffen auf dies und das und sorgen, wo wir können, mit dafür, dass es eintritt. Wir blicken auf unsere Familie, auf die Kinder und deren Vorankommen, hoffen auf Gesundung u.a.m. Wir blicken auf die Weltlage, hoffen auf Frieden, auf wirksame Schritte gegen den Klimawandel weltweit, auf sozialen Zusammenhalt.


Aber dabei wir wissen auch: Der Grat ist schmal. Hoffen und Harren hält manchen zum Narren.


„Wissen Sie in der Regel, was Sie hoffen?“ hat Max Frisch gefragt. Und wir merken: So genau wüssten wir es nicht zu sagen. Ja, es scheint, wo Aufbruch war, hat allenthalben Lähmung uns ergriffen. Dabei wissen wir auch: Die Aufnahme von 1,5 Mio. Menschen aus der Ukraine ist eine große Leistung. Die Energiewende und mehr Nachhaltigkeit lassen sich nur Schritt für Schritt umsetzen. Was schon passiert ist, ist enorm. Aber es ist noch lange nicht genug. Und natürlich wird es nicht ohne Streit abgehen. Angesichts der riesigen Aufgaben wäre etwas weniger Gehässigkeit schon ganz gut. Und dringender denn je ist auch, dass die Schwächsten, die Kinder mit der Grundsicherung nicht weiter hintanstehen.


Vielleicht fällt Ihre Bilanz in Nuancen und auch in den Akzenten anders aus – aber kann das denn eine Rechenschaft von der Hoffnung sein, die in uns ist?


III. Ich merke, dass anstelle von Hoffnung in mehreren Bereichen starke Nüchternheit und große Skepsis in mir vorherrscht. Wie soll angesichts derart mutwilliger Zerstörungen in Europa und darüber hinaus jemals wieder eine Friedensordnung wachsen, die mit der Stärke des Rechts die Gewalt von Waffen unwichtig werden lässt? Wie soll in Sachen Klima jemals etwas vorankommen, von der Bevölkerung erwartet und gewollt, solange weiter so getan wird, als sei bislang gar nichts passiert? Wie soll sich in Sachen Glaubwürdigkeitskrise und Mitgliederverlust bei unserer Evangelischen Kirche etwas ändern, solange sie in Handeln und Struktur weiter mit der Katholischen in eins gesetzt und ihre enorme Lerngeschichte in Sachen sexualisierter Gewalt, Prävention und Missbrauch öffentlich gar nicht gesehen wird?


Näher als die Rechenschaft von der Hoffnung liegt das Aussprechen von Befürchtungen. Darin artikuliert sich die ganze tiefere Sehnsucht nach Veränderungen, der Hunger nach Wahrhaftigkeit und der Durst nach schöpferischem, freiem Leben in angemessenen Grenzen.


IV.Seid allzeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert
über die Hoffnung, die in euch ist
– Rechenschaft über die Hoffnung, die dennoch in euch ist!


Denn die christliche Hoffnung – sie kommt nicht aus den Dingen. Christliche Hoffnung ist kein Bilanzgeschäft. Und sie setzt auch nicht irgendeine Gefühligkeit an die Stelle von Nüchternheit oder gar irgendwelche höheren Weihen an die Stelle skeptischer Befürchtungen.


Nein, christliche Hoffnung ist wohlgegründet. Ihr ist nicht egal, was passiert – im Gegenteil: sie ist entsetzt, voller Empörung und leidet unter den Entwicklungen; ihre brennende Sehnsucht nach Veränderungen wächst. Umso schärfer sieht sie vergebliche Versuche, die nicht weiterführen, umso nüchterner Teufelskreise, in die wir verstrickt sind.


Ihr tragender Grund jedoch liegt tiefer, in der Hoffnungsgestalt Jesus Christus, in seinem Bezeugen der unbedingten Liebe Gottes in seinem Leben, Sterben und Auferwecktwerden.


Es gibt ja Menschen, die kommen in den Raum, und die Atmosphäre ändert sich. Etwas Befreiendes, ein Mehrwert geht von ihnen aus. Solch ein Menschensohn muss Jesus gewesen sein, in entwaffnender Weise zugewandt, nüchtern fragend (was willst du, dass ich dir tun soll?) und entschieden handelnd, so dass Menschen auf einmal spüren, was zuvor ganz in ihnen verschüttet war: neue Kraft, neue Macht, neuen Sinn.


Diese Bewegung setzt Christus in ihnen frei – das ist der Mehrwert. Die Widrigkeiten sind noch da. Aber die Kraft, mit ihnen umzugehen, ist neu. Wer so vertraut, traut sich auch genauer hinzusehen. Wer in dieser Weise liebt, sieht weiter. Wer so hofft, sieht die Welt in einem neuen Licht.


All das jedoch schien durch Jesu weiteren Weg, sein Leiden und Sterben am Kreuz, zunichte. Alles verloren. Doch sein Tod – offenbar hatte er nicht das letzte Wort. Hatte Gott genau dem, wofür Jesus so umstritten eingetreten war, dem Glauben, der Liebe, der Hoffnung zum Sieg über den Tod, zu bleibendem Mehrwert verholfen? Worauf sonst sollten Begegnungen mit dem lebendigen Christus, Teilen von Brot und Wein, befreiende Gemeinschaft hindeuten? Der Tod ist nicht weg – aber die letzte Macht ist ihm genommen.


Die Kräfte, die Jesus verkündigt hat und für die er eingestanden ist, sind stärker: Glaube, Liebe, Hoffnung.


V. Es macht also Sinn, nüchtern nachzufragen, Konflikte nicht zu leugnen, sondern zu realisieren, sich über Ungerechtigkeit und lebensfeindliche Widrigkeiten klarzuwerden. Aber es gilt, aus den Teufelskreisen herauszutreten und in einen neuen bereiten Umgang hineinzukommen, einen, der neues Vertrauen wachsen lässt, der Empathie ermöglicht, einen, der hoffnungsvoll über den Horizont hinausblickt.


Der Mut, so zu agieren, ist manchmal durch nichts zu begründen – außer durch Christus, der der Hoffnung Bürge ist. „Hoffnung“, sagt Vaclav Havel, „ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ Der Bürge für diesen Sinn ist Christus und seine Auferweckung.


Weil die christliche Hoffnung nicht auf unserer persönlichen Glaubensstärke, sondern auf Christus beruht, kann Paulus auch zur Verantwortung vor jedermann aufrufen. Denn nicht um einen Lobpreis unserer Frömmigkeit geht es ja, sondern um praktische Konsequenzen aus Ostern.


Für mich bedeutet das:

 

  • immer ein wenig mehr hoffen, als allem Anschein nach zu hoffen möglich ist;
  • sich nicht mehr fürchten, als unbedingt notwendig
  • und möglichst niemanden aufgeben, vielmehr den Menschen in ihm suchen.


Als Christ Rechenschaft geben von der Hoffnung – so will ich’s versuchen.
Wegen Christus.
Amen

 


 

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