Predigt am 26. Dezember 2023 – 2. Weihnachtsfeiertag

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

Kantatengottesdienst: „Ich freue mich in dir“ von J. S. Bach BWV 133


 

Liebe Gemeinde,

 

wohlan so will ich mich an dich, o Jesu, halten und sollte gleich die Welt in tausend Stücke spalten. Sind das nicht Worte, die mitten ins Mark treffen, liebe Gemeinde? Hörten wir nicht gerade eine Predigt wie für uns geschrieben, für diese zerzauste Zeit, für unsere gespaltene und zerrüttete Welt? Als ich diesen Vers der Bachkantate las, noch bevor ich sie hörte, hatte sie mich schon erreicht. Die Kantate vertont ein Gedicht aus dem Jahr 1648, also nach dreißig Jahren Krieg in Europa. Der Dichter des Textes war Caspar Ziegler, ein Leipziger Jurist, Dichter und Komponist, damals siebenundzwanzig Jahre alt.

 

Und sollte gleich die Welt in tausend Stücke spalten – eine Furcht, die ich nachvollziehen kann in diesen Zeiten: Kriege spalten Völkergemeinschaften, zerstören Menschenleben, vernichten Städte und Felder, und zerreißen Familien, bedrohen das Leben unzähliger Kinder, verbreiten Angst und Schrecken. Nicht auszudenken, was Neugeborene und kleine Kinder ertragen müssen, die in diesen Tagen in Bethlehem oder in Gaza geboren werden, die in Israel oder im Gazastreifen aufwachsen, in ständiger Furcht vor neuer Gewalt. Bedrückend bleiben die Nachrichten aus der Ukraine, wo es noch immer keine Aussicht auf Frieden zu geben scheint. Sie könnten die Beispiele einer gespaltenen Welt mit unzähligen weiteren Bildern und Nachrichten ergänzen.

 

Und sollte gleich die Welt in tausend Stücke spalten, so will ich mich an Jesus halten: Denn in Jesus tritt Gott in diese gespaltene Welt, trägt ein anderes Licht hinein, bringt seinen Frieden auf die Erde, hält aller Gewalt zum Trotz in uns eine Friedenssehnsucht wach, pusht unseren Glauben, weckt unsere Liebe, heilt unser verwundetes Herz, rettet aus Trübsal und Finsternis, erhebt unsere Seele zum Himmel. Vielleicht können Sie das nachvollziehen, liebe Gemeinde, die weihnachtliche Feier der Geburt Jesu löst in mir eine innere Wandlung aus: Ich schöpfe wieder Hoffnung, ich traue der Liebe wieder mehr zu. Ich vertraue Gott, der sich in diese Welt hineinbegibt, weil er sie liebt. Ich spüre eine neue Kraft und Gewissheit, die sagt: Nein, wir gehen nicht verloren, die Welt geht nicht verloren. Wir leiden und seufzen unter den Krisen und Katastrophen, aber Gott gibt uns Worte, Wege und Macht, sie zu überwinden.

 

Und sollte gleich die Welt in tausend Stücke spalten, so will ich mich an Jesus halten: ein Kind jüdischer Eltern, geboren in einem Stall, in ärmsten Verhältnissen, und doch reich, beschenkt mit dem liebevollen Blick von Maria und Joseph, mit Hirten, die staunend und betend vor ihm niederknien und einem Chor jubelnder Engel hoch über dem Stall. Wem das nicht zu Herzen geht, der muss ein harter Felsen sein, dichtet Ziegler. In diesem Kind begegnet uns Gott von Angesicht zu Angesicht, heißt es in der 2. Strophe. Ein Wunder, das mich alle Jahre wieder in Staunen versetzt. Zeigt sich hier doch ein verletzlicher Gott, kein hoch herrschaftlicher Machthaber, sondern einer der durch Kinderaugen zu uns spricht, und Liebe in uns wecken und so die Spaltung der Welt überwinden will.
Ein jüdisches Kind allemal, liebe Gemeinde, das alle Christen an die jüdischen Wurzeln unseres Glaubens erinnert und daran, dass wir jedem Antisemitismus entschieden entgegentreten werden. Er will spalten, die Würde unserer Mitmenschen verletzen und die Religionen gegeneinander in Stellung bringen. Das lassen wir vor dem Angesicht Jesu nicht zu. Suchen wir den Dialog mit den anderen Religionen, lassen wir uns von der Politik nicht spalten und instrumentalisieren, sondern erinnern daran, dass Judentum, Christentum und Islam, alle drei ihrem Wesen nach Friedensreligionen sind.

 

Und sollte gleich die Welt in tausend Stücke spalten. Lassen Sie mich noch einmal die Gegenfrage stellen, liebe Gemeinde. Wie gespalten ist denn diese Welt? Wie gespalten ist unser Land? Stimmt die These von einer zunehmend polarisierten deutschen Gesellschaft überhaupt? Soziologische Erhebungen haben ergeben, dass es in der Mitte unserer Gesellschaft bei aller Diversität im Grunde eine breite Werteübereinstimmung gibt. Die Ränder polarisieren und radikalisieren. Die Mehrheit in der Mitte aber ist nicht gespalten. Auch wenn viele Menschen darin übereinstimmen, dass sie weniger positive Zukunftserwartungen haben, gibt es immer noch eine hohe Lebenszufriedenheit und Zustimmung zur Demokratie. Sie mögen das anders oder kritischer sehen, liebe Gemeinde, aber das ist auch meine Wahrnehmung, in meinem Umfeld und rund um unsere Gemeinde und um unsere Kirche.

 

Es gibt viel Sinn für das Gemeinwohl. So viele Ehrenamtliche setzten sich für andere ein, begleiten Kranke, pflegen Ältere, lesen Kindern vor, engagieren sich für die Tafeln und wirken für die Bewahrung der Schöpfung, für Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Ich treffe auf Menschen, die suchen das Gemeinsame, das Gespräch, den Konsens oder zumindest den Kompromiss. Gerade in so zerrissenen Zeiten tut es gut auf das schauen, was uns Menschen verbindet. Es ist auch der Blick Jesu, der Frieden brachte, auf die am Rande zuging und Menschen zuhörte, heilte und zusammenführte. Der alle zur Nächstenliebe aufrief, der die Liebe zu Gott, zum Nächsten und zu sich selbst zum höchsten Gut erklärte. Der sich selbst hingab, aus Liebe, für uns, und mit uns stirbt und aufersteht: Wer Jesum recht erkennt, der stirbt nicht, wenn er stirbt, sobald er Jesum nennt.

 

Und sollte gleich die Welt in tausend Stücke spalten, o Jesu, dir nur dir, dir leb ich ganz allein. Einige der gesungenen Verse sind mir zu fromm, oder soll ich sagen, zu fremd. Die verniedlichende Sprache ist nicht meine, vom Brüderlein und Jesulein mag ich nicht reden. In die Bach´sche Musik tauche ich gern ein, in die fromme Dichtung nur zum Teil. Auffallend aber ist, dass es dem Dichter dieser Verse auf den persönlichen, den individuellen Glauben ankommt: Ich freue mich in dir, ich heiße dich willkommen, mein Jesus ist geboren, O Jesu, dir nur dir, leb ich ganz allein … Musikalisch wird das dadurch ausgedrückt, dass die vier Sätze für vier Einzelstimmen komponiert werden. Daran kann ich gut anknüpfen: Denn die Besonderheit des christlichen Glaubens liegt gerade darin, dass Gott durch diesen Menschen zu jedem einzelnen von uns, von Euch in Beziehung treten will, von Angesicht zu Angesicht und auf Augenhöhe.
In einem Menschen will er uns begegnen, damals wie heute. Könnte sein, dass es der Mensch an ihrer Seite ist, durch den er ihre Liebe, ihren Glauben oder ihre Lebensfreude weckt.

 

Er kommt zur Welt als Kind in der Krippe, und es sind die Kleinsten der Kleinen, die Neugeborenen, die unsere Liebe wecken und unsere Zärtlichkeit, unsere Freude und unseren Dank, unsere selbstlose Hingabe für sie und unsere Leidenschaft für das Leben – alles Eigenschaften, die uns und diese Welt zusammenhalten.


Liebe Gemeinde, gehen sie daher in diesen 2. Weihnachtsfesttag mit innerer Freude, mit neuer Hoffnung für diese Welt und mit einem frischen Blick für die Kraft der Liebe, die unsere Gemeinschaft zusammenhält.

 

Amen.
 


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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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