Predigt am 17. Oktober 2021 – 20. Sonntag nach Trinitatis

Pastor i.R. Sebastian Borck

Erinnert euch an Gottes Regenbogen!

 

Begrüßung

 

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht:
Gerechtigkeit tun, Freundlichkeit lieben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott.

Herzlich willkommen zum Gottesdienst-Feiern hier im Kirchraum St. Katharinen! Und – dank des Streaming-Teams um Martin Kramer – herzlich willkommen zum Gottesdienst-Feiern auch am Bildschirm zuhause!


Der Wochenspruch aus dem Buch Micha in der Übersetzung vom Hamburger Kirchentag 1995 soll uns Kompass sein:
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht:
Gerechtigkeit tun, Freundlichkeit lieben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott.
– den Verhältnissen gerecht werden und respektieren, was das rechte Maß ist
– gerne Freundlichkeit ausstrahlen, dann breitet sie sich aus und kommt auch zurück
– und im Dialog bleiben, aufmerksam mitgehen mit deinem Gott.

Aus der Sintflutgeschichte kommt heute die Botschaft: Erinnert euch an Gottes Regenbogen!


Zerstörung vor Augen, haben die Menschen ihn als Gottes tröstliches Bundeszeichen
verstanden, von Gott in die Wolken gesetzt.
Aber kann er heute noch Vertrauen schenken, im Zeitalter von Menschen entfesselter
Zerstörungskräfte und des unaufhörlichen Klimawandels?
Veränderung und Vertrauen – diesen beiden Leitmotiven aus der Bundestagswahl wollen wir vertieft nachgehen.
Es gibt viel zu tun, mit Gottvertrauen allein ist es nicht getan – soviel scheint klar.
Doch: Erinnert euch an Gottes Regenbogen! Wer aufmerksam mitgeht mit seinem Gott, wird
erahnen und erfahren, dass veränderndes Handeln und gläubiges Vertrauen heute noch anders zusammenhängen …
Feiern wir diesen Gottesdienst im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes. Amen

 

 

Predigt

 

Liebe Gemeinde, "Zeitansage" heißt das Bild, das mich seit den Zeiten der Friedensbewegung begleitet und mir zu denken gibt: Über einer Landschaft ein kräftiger Regenbogen, der, weil da ein kleines Flugzeug hineinfliegt, zerbricht. Mit dieser Zeitansage hat das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover zur Hoch-Zeit der Friedensbewegung 1981 zu einer Ausstellung mit Arbeiten des Karikaturisten Hans-Georg Rauch eingeladen. Wie aktuell ist es nach wie vor!


So gefährlich ist die Welt geworden, dass durch Menschenhand sogar der Regenbogen zerbrechlich geworden ist. Immer höher steigert sich das atomare Wettrüsten, dass schon ein Streichholz ausreichen kann, das Ganze zur Explosion und Vernichtung zu bringen. Mit dem lächerlichen Doppeldecker-Flugzeug scheint der Karikaturist die Gewalt noch zu steigern, zu der der Mensch in der Lage ist: So ein bisschen reicht schon.

 

Worauf vertrauen, wenn nichtmal der Regenbogen mehr sicher ist? Was kann noch trösten, wenn ein atomares Inferno droht? Das Bild macht überdeutlich, wohin sich des Menschen Fähigkeiten und Unfähigkeiten ausgewachsen haben. Vor dem Menschen scheint selbst Gott nicht mehr sicher zu sein.


Was jahrhundertelang, jahrtausendelang gegolten hat, Gottes Zusage: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“, Gottes Zusage, die Erde hinfort nicht mehr um des Menschen willen verfluchen zu wollen, scheint durch des Menschen Hand ins Wanken gebracht. Dass das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens böse ist von Jugend auf, hatte Gott dabei schon in Rechnung gestellt – nicht aber, dass seine Interessendurchsetzung und Gewalt so weit geht und sich so hoch steigern kann, dass sie – wie ein kleines Flugzeug – die Höhe des Regenbogens erreicht.


Die Zeitansage hat das Leben von uns allen erfasst. Wie da auf Gottes Schöpfung, auf Gottes Bund vertrauen? Abend und Morgen sind seine Sorgen haben wir gesungen, Alles vergeht, Gott aber stehet ohn alles Wanken – können wir darauf noch vertrauen, wo die Grundlagen unseres Lebens doch so sehr von menschlichen Entscheidungen abhängig geworden sind?


Seither sind bald 40 Jahre vergangen. Die deutsche Teilung wurde überwunden. Doch an der brenzligen, von Menschen abhängigen Hochrüstungssituation hat sich fast nichts geändert. Auf Erden haben sich die Dinge weiter verschoben. In derart zerstörerische Verhältnisse hat sich der Mensch mittlerweile verstrickt und hineingesteigert, dass die Lebensgrundlagen, Saat und Ernte, Frost und Hitze, dass die Schöpfung nicht mehr sicher ist. Im Gegenteil: ohne entschiedene Umkehr rückt die hausgemachte Zerstörung, Klimawandel, Artensterben uam. unausweichlich näher.


Es ist eine merkwürdige Lage: Gesetze, was erreicht werden muss, haben wir schon, sogar verschärft, weil den Jüngeren sonst kein Spielraum mehr bliebe – nur wie dahin zu kommen ist, darüber streiten die Parteien für die kommende Regierung noch. Durchaus möglich, dass mal wieder zu kurz gesprungen wird. Wollen wir wirklich glauben, dass das, was nötig ist, möglich wird, ohne dass es heftige Veränderungen von uns fordert?


Nur mit kräftiger vielfältiger Umkehr auf zahlreichen Gebieten zugleich ist Vertrauen in Gottes Schöpfung noch möglich. Nur wer sich in die Umkehr wirft, kann Gottes Zusage weiter vertrauen, dass der Rhythmus von Sommer und Winter, Tag und Nacht unser Leben weiter zusammenhält.


Ich ahne: So wie früher: hie menschliches Tun – da Gottvertrauen, in diesem Gegensatz wird es nicht mehr gehen. Die alten Trennungen in Schwarz und Weiß, Materie und Geist, befleckt und sauber sind nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wo in der Physik alles von Materie und ihren kleinsten Einheiten bestimmt wurde, werden Formen und Gestaltungen, Beziehungen und Potenzialitäten immer wichtiger. Nicht mehr die festen Stoffe bestimmen, was wirklich ist, sondern Bewegung und Veränderung. Was im Prozess ist und sozusagen in welchem Geist die Kräfte unterwegs sind, ist entscheidend.


Ähnlich scheint auch unsere Politik inmitten heftiger Veränderungen zu funktionieren: nicht mehr in fertigen abgeschlossenen Einheiten, sondern wesentlich in mehreren Bewegungen gleichzeitig, miteinander verbunden und im Prozess. Unmöglich ohne mitgehendes Zutrauen.


Auch die Biologie wartet mit neuen Erkenntnissen auf, die verunsichern und Bereitschaft zu neuen Bildern von uns fordern: Dass es gelte, sich als Mensch gefährliche Organismen vom Leib zu halten, um nicht krank zu werden, damit sind wir aufgewachsen. Zuletzt hat uns Corona weltweit auf bis dahin unbekannte, unheimliche und unsichtbare Weise gezeigt, wie verletzlich und zerbrechlich menschliches Leben sein kann.


Die Ahnung wächst, dass menschliches Leben ganz anders in Naturzusammenhänge
eingebunden ist als lange gedacht. Nicht nur, dass menschliches Handeln den Permafrostboden zum Auftauen bringt und lange festgehaltene gefährliche Mikroorganismen freisetzt. Offenbar ist das ganze menschliche Leben wie alle Organismen in mikrobiotische Lebenszusammenhänge in Fülle eingebunden. So wie der Mensch auf förderliche Lebensräume angewiesen ist, so ist er auch selbst darauf angelegt, für eine Vielzahl von Lebewesen förderlicher Lebensraum zu sein. Ohne Gegenseitigkeit und immer neue Aushandlung kein Gleichgewicht, kein Leben. So sehr der Mensch Herr der Natur sein will, so sehr ist er doch in früher unvorstellbarer Weise deren Teil.


Wir haben noch viel zu lernen. Aufregend ist das und spannend. Es sind neugierig machende Zeiten. Zerbrechlich ist das Leben, auf Gleichgewicht angewiesen. Und je mehr wir das erkennen, umso kostbarer!


Was ich beschreibe, liebe Gemeinde, sind Ahnungen, Andeutungen, kein festes Wissen. Dazu verstehe ich von den Entwicklungen moderner Wissenschaften und ihren Zusammenhängen nicht genug. Aber es bleibt sinnvoll, genauer nachzufragen: Was ist der Fall?


Das gilt auch für die Fülle und Ganzheit aller Lebensprozesse, die wir nicht nur "Natur", sondern – offen für Gott, für Gottes Geist, Gottes schöpferisches Handeln – „Schöpfung“ nennen.


Die in Veränderung begriffenen Bilder in Physik, Biologie und anderen Wissenschaften können uns eine Richtung weisen: Wir kommen aus einem Denken und Glauben, in dem des Menschen Taten und Untaten und Gottes Handeln einander gegenübergestellt wurden. Was immer Menschen getan oder gelassen haben, so hieß es, auf Gottes Schöpfung sei Verlass. Seine Sonne lässt Gott aufgehen über Gute und Böse, über Gerechte und Ungerechte lässt er regnen.


Genau dieses Bild von soviel Vertrauen in Gottes Schöpfungs-Beständigkeit ist ins Wanken gekommen. Das zeigt die Zeitansage von Hans-Georg Rauch in ungeminderter Aktualität. Offenbar haben wir von Gott und unserem Vertrauen noch nicht anspruchsvoll genug gedacht. Genauer-Hinsehen und Anders-Vertrauen ist von uns gefordert.


Wieder ist es eher Ahnung als schon Wissen. Ebensowenig wie Natur und Geist dürfen wir Gott und Mensch getrennt voneinander denken. Wie in der Biologie alles Leben miteinander verbunden und in voller Artenvielfalt aufeinander angewiesen ist, so dürfen wir auch Gott und Mensch in aller Unterschiedlichkeit nicht isoliert voneinander denken, sondern eher wie Partner, wohl eigenständig, aber vielfältig aufeinander bezogen.


Ich habe Helmut Thielicke noch im Ohr: "Sage mir, wie erhaben dein Gott ist, und ich sage dir, wie wenig er dich angeht." Durch seine Verbundenheit nimmt Gottes Souveränität keinen Schaden.


Zum anderen habe ich Dorothee Sölle vor Augen: „Christus hat keine anderen als unsere Hände.“ Und ich spüre, wie mir dieses Verständnis von Nachfolge und Stellvertretung doch zu weit geht. Sollen wir unsere Vorstellungen von Gottes Handeln so weit zurücknehmen, dass es ausschließlich und nur noch durch uns geschieht? Ich habe das immer als überanstrengend empfunden. Als ob Gott über unsere vermeintlichen Wohltaten nicht auch kräftig verwundert und irritiert sein könnte (um es vorsichtig auszudrücken)!


Glauben wir die Partnerschaft von Gott und Mensch doch anspruchsvoller! Der Prozess Gottes, seine noch nicht fertige Schöpfung, und der Prozess der Welt sind offenbar stärker miteinander verbunden als früher gedacht. Einerseits bleiben darin Gott und Mensch Gegenüber, voneinander unabhängige selbständige Partner. Zu meiner Gottesvorstellung gehört, dass ich mich bei Gott fallen lassen kann, voll Vertrauen, wie bei einem geliebten Partner.


Andrerseits ist Gottes Schöpfung, durch die menschliche Entwicklung der letzten Jahrhunderte auf die schiefe Bahn gebracht, absturzgefährdet, aber auch veränderbar und zurechtzubringen – sie braucht den Menschen. Aufmerksam mitgehen mit deinem Gott – das ist es! Wieder einkehren in die Beziehungen, die rechten Verhältnisse wieder herrichten. Und bei allen Unbilden der Veränderung – Freundlichkeit lieben!


Schließlich gilt es auch den Regenbogen, Gottes Bundeszeichen, nochmal genauer zu verstehen. Geht die Partnerschaft von Gott und Mensch dabei doch so weit, dass beide dieselbe Perspektive einnehmen.


Des Menschen böses Tun auf der Erde – so wird erzählt – hatte Gott dazu gebracht, mit der Sintflut dreinzuschlagen. Am Ende aber wird Gottes Umkehr erzählt: Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf, weiterhin. Doch hinfort will ich nicht mehr die Erde verfluchen um des Menschen willen, nicht mehr schlagen alles, was da lebt.


Es ist Gottes Umkehr, die heute auf menschliches Umkehren wartet. Naiv ist die Bibel dabei nicht. Ausbeutung und Gewalt, Verstrickung in zerstörerische Dynamiken wird nicht ausgeblendet. Eher ist es offenbar die Gottesbeziehung, die einen umso nüchterneren Blick auf den Menschen eröffnet.


Jedenfalls setzt Gott sein Bundeszeichen, den Bogen, nicht einfach obendrauf in die Wolken. Vielmehr nimmt er die Perspektive des Menschen ein, tritt sozusagen neben ihn und wird menschlichen Verhältnissen gerecht, indem er – die Sonne im Rücken – mit ihm vor den Unheilswolken nicht die Augen verschließt, aber darin in einem weiten Bogen die Fülle der Farben, neues Leben aufscheinen lässt.


Was für ein menschenfreundliches Zeichen, wie Unheil zu begrenzen und zu verwandeln ist! Bleiben wir nicht abseits stehen! Nehmen wir unser Vertrauen zusammen und gehen aufmerksam mit mit unserem Gott! Amen.

 

 

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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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