Predigt am 16. Januar 2022 – 2. Sonntag nach Epiphanias

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

„Von der Weisheit Gottes“ 1. Kor 2, 1-10

 

 

Liebe Gemeinde,

 

hat jemand von Ihnen den Film „Don’t look up“ gesehen? Diese amerikanische schwarze Komödie aus dem Dezember letzten Jahres? Es ist eine mitreißende Parodie auf unsere Welt, eine Allegorie auf unseren Umgang mit angekündigten Krisen oder Katastrophen, spannend, komisch, karikierend, überzeichnend, aber auch entlarvend. Ein fiktiver Film, mit vielen apokalyptischen Zitaten. Worum geht es?

 

Eine junge Doktorandin an einer Universität in Michigan, USA entdeckt im Universum einen gewaltigen Kometen. Ihr Professor berechnet dessen Geschwindigkeit und Flugbahn und stellt mit Erschrecken fest: Dieser riesige Komet steuert direkt auf die Erde zu. Anhand astronomischer Gesetze und mathematischer Formeln können die beiden einen Einschlag auf den Tag genau vorhersagen. Der Komet ist so groß, dass sein Aufprall die Erde zerstören wird, so ihre Prognose.
 
Bis dahin dachte ich, okay – den Plot kenne ich, derartige Weltuntergangs-Movies habe ich schon -zig Mal gesehen … Aber ich bleibe dran, weil Leonardo di Caprio als Professor einfach hinreißend spielt und seine junge Mitarbeiterin Kate, dargestellt von Jennifer Lawrence, mich auch überzeugt. Sie informieren den verantwortlichen Wissenschaftler bei der NASA und bekommen durch ihn einen Termin bei der Präsidentin der USA, wunderbar gespielt von Meryl Streep. Jedoch – in Washington glaubt man ihnen nicht. Wer sind schon zwei unbedeutende Wissenschaftler aus der Provinz? Außerdem ist man im Wahlkampf, da möchte man die Wähler nicht mit rasenden Kometen verschrecken.

 

Die beiden wenden sich also an die Medien. Doch auch die machen daraus lieber leichte Unterhaltung und ignorieren die wissenschaftlichen Fakten. Kate ist empört. Sie rastet förmlich aus und wird fortan als unglaubwürdig und übertrieben panisch abgestraft. Man kann in ihr eine Karikatur von Greta Thunberg erkennen, denn wie Greta hält sie den Glauben an die Wissenschaft hoch.

 

Nachdem namhafte Nobelpreisträger die Aussagen der beiden Wissenschaftler überprüft haben und den Kollisionskurs des Kometen bestätigen, folgt genau das, was wir gerade erleben: Verschwörungstheorien zirkulieren, Demonstrationen leugnen die Gefahr. Politiker beruhigen mit dem Slogan, „don`t look up“, also schau hoch, nicht in den Himmel. „Schaut genau hin“, flehen die Wissenschaftler, denen man aber weniger Glauben schenkt als einem milliardenschweren Unternehmer, einer Mischung aus Steve Jobs, Elon Musk und Richard Branson, der die Präsidentin berät und finanziell unterstützt. Seine Spezialisten haben erkannt, dass der Komet wertvolle Rohstoffe in sich birgt. Er will ihn mit modernster Weltraumtechnik zerkleinern und dann verwerten.

 

So, mehr erzähle ich nicht. Ich will die Spannung ja nicht wegnehmen, falls sie doch Lust bekommen sollten, sich den Film auf Netflix anzuschauen. Ich musste jedenfalls in ihn denken, als ich Paulus Passage über die Weisheit dieser Welt las, über die Weisheit der Herrscher dieser Welt. Deren Motive waren wohl auch zu seinen Lebzeiten nicht immer die reinsten, sondern von persönlichem Machtstreben geprägt. Und so geht es ja auch heute zahlreichen Wissenschaftlern, die vor dem Klimawandel oder den gefährlichen Folgen von Covid 19 warnen, aber von Politik und Gesellschaft nicht ernst genommen werden.

 

Wie meinen Sie, liebe Gemeinde? Wie steht es heute um die Weisheit der Welt? Weisheit meint ein „tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft sowie die Fähigkeit, bei Problemen oder Herausforderungen jeweils die schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren“ (Wikipedia). Welche Bedeutung haben dabei die Wissenschaften, liebe Gemeinde?
Eine kritische Haltung gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen ist wichtig, eine Ablehnung oder Verleugnung aber kann tödlich sein. Mich beeindrucken Virologen oder Klimaforscher, die ihre Forschungsergebnisse immer wieder hinterfragen, die neue Fakten hinzuziehen, ihre Thesen überprüfen und gegebenenfalls korrigieren. Die wissen, dass auch sie irren können, ja die aus Irrtümern oder negativen Testergebnissen neue Erkenntnisse herauslesen, die um die prinzipiellen Grenzen menschlicher Weisheit wissen, die sich mit Gegenthesen auseinandersetzen und darüber hinaus auch versuchen, uns Laien ihre komplexen Einsichten und Erkenntnisse zu erläutern. Auf diese Wissenschaftler höre ich, ihnen vertraue ich und erwarte von der Politik, dass sie ihr Handeln daran ausrichten.

 

Aber das reicht mir nicht, liebe Gemeinde. Das ist mir zu wenig, zu unsicher, zu ungewiss. Zu oft müssen wir erkennen, dass wir mit unserer menschlichen Weisheit am Ende sind. Dies ist nicht erst eine bittere Erfahrung der Pandemie. Wir haben den Klimawandel nicht in Griff, wir können Flutkatastrophen wie im Ahrtal nicht verhindern, wir haben keine Lösung für die Lagerung des Atommülls, wir wissen nicht, wie wir den Hunger auf der Welt stillen, Armut beseitigen, Frieden stiften und so fort. Menschheitsprobleme, die uns überall auf der Welt beschäftigen. Wenn wir auf das Ganze blicken, dann erkennen wir, dass es mehr geben muss als das, was einzelne kluge Forscher, was die menschliche Wissenschaft zum Fortbestand dieses Planeten beitragen kann.

 

Es geht um so etwas wie ein Urvertrauen oder Grundvertrauen darin, dass wir in dieser komplexen Welt nicht verloren gehen, dass eine göttliche Kraft verborgen unter, in, hinter ihr wirkt, eine schöpferische, kreative Urkraft, der Geist, der aus der Tiefe Gottes kommt und alles in allem erhält und weiterbewegt. Unsere nicht zu verachtende menschliche Weisheit braucht ein Korrelativ, eine Ergänzung, ein Gegenüber, einen höheren Grund, höher als alle menschliche Vernunft, so wie es in dem biblischen Zuspruch heißt: Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Wo menschliche Weisheit am Ende ist, ist Gottes Weisheit noch lange nicht am Ende. Darauf kommt es mir mit Paulus an.

 

Paulus unterscheidet diese beiden Weisheiten, die menschliche Weisheit und die göttliche, wir können sie auch die Glaubensweisheit nennen. Er schreibt: „Ich kam nicht mit hoher Weisheit und hohen Worten zu euch, sondern einzig mit dem Wissen um Jesus Christus“. Er kam nicht mit klugen, weisen, überzeugenden Argumenten zu den Korinthern, er kam in Schwachheit und mit Furcht. Nicht er, sondern der Geist Gottes und seine Kraft haben sie vom Glauben an Jesus Christus überzeugt. Ihr Glaube basiert nicht auf menschlicher Weisheit, sondern auf Gottes Kraft (1-5). Die Weisheit des Glaubens ist eine andere als die Weisheit der Welt, sie kommt von Gott und bleibt daher für uns Menschen immer auch ein Geheimnis, eine verborgene Wahrheit. Wunderbar ausgedrückt in dem 104. Psalm: Gott, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter (V 24).

 

Die eigentliche Pointe von Paulus ist aber die: Die Weisheit Gottes lässt sich mit Vernunft und Verstand nicht erklären, im Gegenteil, sie erscheint den Menschen als eine Torheit, denn sie mündet im Kreuz. Die Weisheit Gottes ist das Wort vom Kreuz, ist Jesus Christus, der an Kreuz geschlagen wurde und dem wir Christen dennoch oder gerade deswegen glauben. Das ist paradox, ein bisschen oder ganz und gar verrückt, es widerspricht allem, was der Glaube an Gottes Weisheit bis dahin für möglich gehalten hatte. Ich zitiere nochmal Paulus: „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. Denn es steht geschrieben: Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen. Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt (vom Kreuz) selig zu machen, die da glauben“ (1. Kor 1.18ff). Das Kreuz Jesu Christi durchkreuzt die Maßstäbe menschlicher Vernunft und Rationalität. Sein Kreuzestod ist ein Skandal und eine radikale Infragestellung menschlichen Strebens nach Weisheit, Erfolg oder Glück. Gottes Weisheit geht daher in unserer Erfahrung nie ganz auf, sie durchkreuzt sie mit einer Kraft, die den Tod überwindet, die tödliche Mächte besiegen kann und uns eine Zukunft verheißt, die immer schon über unsere Zeit auf Erden hinausweist.

 

Was bedeutet das für uns heute, für unser Leben in Krisenzeiten, liebe Gemeinde? Wenn wir mit unserer Weisheit am Ende sind, Gott ist es nicht. Er ist mit seinem Geist und seiner Kraft unter uns wirksam, manchmal im Verborgenen, für menschliche Vernunft unbegreiflich und unfassbar. Er ist mit seiner Kraft besonders dort zu finden, wo Menschen ohnmächtig sind oder sich ohnmächtig fühlen, wie Jesus am Kreuz. Er ist mit seiner Kraft in den Schwachen mächtig, in uns, wenn wir uns schwach fühlen, unsicher oder ängstlich sind, hilflos oder ratlos. Er ist mit seiner Kraft überall dort lebendig, wo Menschen nach ihm fragen, wo sie Liebe üben und den Frieden suchen, wo sie einander helfen und füreinander sorgen, wo Menschen geheilt und getröstet werden, wo sie ermutigt und aufgerichtet werden, wo sie ihren Verstand und ihre Vernunft für das Gute einsetzen, wo sie mit allen Sinnen Gott suchen und sich von ihm finden lassen.
Im Blick auf bedrohlich herbeinahende Kometen übrigens ( :-) ) schenkt Gottes Geist eine wohltuende Gelassenheit, oder mit Worten Dietrich Bonhoeffers gesagt:

 

„Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht“ (aus: Widerstand und Ergebung].

 

Amen.

 


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Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
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