Predigt am 07. Februar 2021– Sonntag Sexagesimä

Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann

Das Gleichnis vom Sämann (Lukas 8, 4-8): „Wie Worte wirken“


Liebe Gemeinde,
ein junger Mann betrat im Traum einen Laden. Hinter der Theke stand ein Engel. Hastig fragte er ihn: „Was verkaufen Sie, mein Herr?“ Der Engel antwortete freundlich: „Alles, was sie wollen.“ Der junge Mann begann aufzuzählen: „Dann hätte ich gerne das Ende der Pandemie und aller Kriege in der Welt, bessere Bedingungen für die Flüchtlinge, Beseitigung von Armut und Hunger, Arbeit für die Arbeitslosen, Bildungsgerechtigkeit, Klimaschutz…“ Da fiel ihm der Engel ins Wort: „Moment, Moment, junger Mann, entschuldigen Sie, Sie haben mich falsch verstanden. Wir verkaufen keine Früchte, wir verkaufen nur den Samen“ (nach Willi Hoffsümmer, Kurzgeschichten, Mainz 1999).

Damit ist eigentlich schon alles gesagt, liebe Gemeinde, nicht nur im Traum, sondern im wirklichen Leben: Eine heile Welt können wir uns nicht kaufen. Das merken wir zurzeit besonders schmerzlich. Aber wir können Samen streuen oder pflanzen, damit sie gedeihen kann. In dem Gleichnis, das eben für uns gesungen wurde, ist der Same ein Symbol für das Wort Gottes, so sagt es Jesus etwas später. Das Wort Gottes, von dem uns die Bibel so viel erzählt: Es ist schöpferisch und fruchtbar wie am ersten Tag, als es das Licht von Finsternis trennt. Es schafft Pflanzen und Tiere, den Menschen als Gottes geliebtes Gegenüber. Gottes Wort kann trösten und stärken, aber auch richten und für Recht sorgen, aufklären und versöhnen, heilen und segnen. Niemand hat das schöner beschrieben als der Prophet Jesaja im 55. Kapitel:

Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende, spricht der Herr.

Gottes Wort wirkt - und nicht zu knapp. So auch in diesem Gleichnis vom Sämann, der seinen Samen in einem großen Wurf aussät. Er ist nicht knauserig, nicht geizig, im Gegenteil, das Gleichnis vermittelt den Eindruck, dieser Sämann ist sehr großzügig, ja geradezu verschwenderisch mit seinem Samen umgegangen: Er schleudert ihn freigebig über sein weites Feld - und so fällt ein Teil auf den Weg und wird zertreten oder von Vögeln gefressen. Ein weiteres Teil landet auf Felsen, wo es vertrocknet und verdorrt, ein Teil fällt unter Dornen und erstickt. Es scheint so, als gingen ¾ des wertvollen Samenguts verloren. Zunächst dachte ich: Wie achtlos, wie unprofessionell von dem Sämann, welch eine miese Aussaat, welch ein miserables Geschäft. ¾ des eingesetzten Kapitals gehen verloren. Das ist ja eine gewaltige Fehlinvestition, wenn nur ein ¼ wächst und gedeiht. Aber dann heißt es, der letzte Teil, der auf gutes Land fällt, geht auf und bringt 100fach Frucht. Am Ende ist der Erfolg traumhaft, überwältigend, er übersteigt alle Erwartungen – 100fach!

Gottes Wort wirkt. Es kommt nicht leer zu ihm zurück, es wirkt Wunder hundertfach!

Wie der Samen auf fruchtbarem Boden aufgeht, so erfüllt sich Gottes Wort unter uns. Das macht mir Hoffnung, das ist tröstlich und verheißungsvoll - gerade jetzt. Denn mehr als sonst fürchten wir uns in diesem Jahr davor, dass unsere Saat nicht aufgeht, nicht aufgehen kann, weil die Pandemie das verhindert, weil Betriebe schließen müssen und Menschen ihre Arbeit verlieren, weil Lebensträume zerplatzen und Lebenswege abbrechen, weil Künstler nicht auftreten, Berufsanfänger nicht anfangen und Schülerinnen nicht richtig lernen können, weil Kinder nicht miteinanderspielen, sich nicht austoben, mit anderen gemeinsam entwickeln und entfalten dürfen und weil ältere Menschen im wahrsten Sinne des Wortes verkümmern, immer allein, ohne Gesellschaft, ohne die eigenen Kinder, ohne die geliebten Enkel. Wieviel Zukunft und Zuversicht geht in diesen Wochen kaputt, verloren, wird erstickt unter Ängsten und Sorgen, aber auch unter Schmerzen und Traurigkeiten?!

In diesen Tagen sehnen wir uns nach Hoffnungsworten, stattdessen hören wir dauernd Durchhalteparolen. Ich mache die Beobachtung, dass viele Menschen die mahnenden und warnenden Worte der Politiker nicht mehr hören wollen. Es dauert schon zu lange, ihre Geduld ist am Ende, sie sind müde und erschöpft. Und so bleibt vieles unerhört, was beispielsweise die Wissenschaftlicher uns sagen, uns schon vor Monaten gesagt haben. Auf welchen Boden fallen die Worte der Politiker und Wissenschaftler*innen bei Ihnen, liebe Gemeinde? Haben Sie noch Ohren, zu hören? Was dringt in ihr Inneres, was erreicht ihr Herz und ihre Seele?

Vielleicht eher Worte der Achtsamkeit und der Anteilnahme: Ich sehe dich, ich verstehe dich, ich komm zu dir und helfe dir. Oder Worte der Treue: Nichts und niemand kann dich trennen von der Liebe Gottes. Oder Worte der Liebe: Wo du hingehst, da will auch ich hingehen. Heute bittet ein Paar um Worte des Segens: 50 Jahre währt ihre Ehe, und sie haben zu einander gehalten in guten und in schweren Zeiten. Heute sind Sie dankbar für ein reiches, erfülltes Leben, für die reiche Lebenssaat. Ja, tatsächlich: Was ist aus ihrer anfänglichen Verliebtheit geworden, wie viele Träume wurden wahr? Mehr als sie zu hoffen wagten.

Für Sie und für mich ist die Kirche der Ort, wo ich solche Hoffnungsworte höre, Worte, die mir Mut machen und mich trösten, die mich in meinem Innern erreichen, die etwas in mir wachsen lassen, was mich wachsen lässt, mich in der Krise immer wieder aufrichtet. So lenkt das Gleichnis vom Sämann meinen Blick vom fernen Ackerboden Palästinas hin zu mir und zu dir, und ich frage mich und dich: Höre ich die Worte, die Gott zu mir spricht? Dringen sie in mein Ohr und in mein Herz? Gebe ich ihnen Raum, um in mir zu klingen, um mit dir zu schwingen? Wo spüre ich unter all den Sorgen und Ängsten meines Lebens seine Kraft? Wo erfahre ich in der Leere und Einsamkeit seine Nähe? Wo wächst mir trotz der äußeren offensichtlichen Aussichtslosigkeit Zukunft zu? Wo beginnt etwas zu wachsen, das meine Hoffnung nährt? Wo hört der nervige Zweifel auf, wo beginnt der Glaube? Wo fange ich wieder an zu träumen von Frieden, von Reisen, von der Liebe?

Manchmal ist es im wahren Leben wie in unseren Träumen: Aus einem kleinen Samenkorn erwächst ein fruchtbarer Baum, aus einem göttlichen Wort ein großer Segen.

Amen

 

 

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