Predigt am 2. Oktober 2022 – Sonntag Erntedank

Pastor Frank Engelbrecht

„Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben“ (5. Mose 8, 7–18)

 


 

Predigttext: 5. Mose 8, 7–18

7 Denn der Herr, dein Gott, führt dich in ein gutes Land, ein Land, darin Bäche und Quellen sind und Wasser in der Tiefe, die aus den Bergen und in den Auen fließen, 8 ein Land, darin Weizen, Gerste, Weinstöcke, Feigenbäume und Granatäpfel wachsen, ein Land, darin es Ölbäume und Honig gibt, 9 ein Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt, ein Land, in dessen Steinen Eisen ist, wo du Kupfererz aus den Bergen haust. 10 Und wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den Herrn, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat. 11 So hüte dich nun davor, den Herrn, deinen Gott, zu vergessen, sodass du seine Gebote und seine Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, nicht hältst. 12 Wenn du nun gegessen hast und satt bist und schöne Häuser erbaust und darin wohnst 13 und deine Rinder und Schafe und Silber und Gold und alles, was du hast, sich mehrt, 14 dann hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den Herrn, deinen Gott, vergisst, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft, 15 und dich geleitet hat durch die große und furchtbare Wüste, wo feurige Schlangen und Skorpione und lauter Dürre und kein Wasser war, und ließ dir Wasser aus dem harten Felsen hervorgehen 16 und speiste dich mit Manna in der Wüste, von dem deine Väter nichts gewusst haben, auf dass er dich demütigte und versuchte, damit er dir hernach wohltäte. 17 Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen. 18 Sondern gedenke an den Herrn, deinen Gott; denn er ist’s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen, auf dass er hielte seinen Bund, den er deinen Vätern geschworen hat, so wie es heute ist.

 



Predigt

 

Die Gnade des Vaters, die Liebe unseres Herrn Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

 

„Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit!“ (2. Tim. 1,19). Unter diesem Stern Deines Taufspruchs, liebe Madeleine, feiern wir heute Erntedank und lassen uns Mut zusprechen: von diesem Wort zu Deiner Taufe, in dem Gott selbst zugegen ist, um Dich als Gotteskind und Erdenbürgerin hier in St. Katharinen willkommen zu heißen.

 

Dieses Fest feiern wir an diesem Wochenende zum Tage der Deutschen Einheit. Gestern hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow als Präsident des Bundesrates in Erfurt das Bürgerfest zum 3. Oktober eröffnet – in angespannten Zeiten. Denn während wir in den letzten Jahren diese Feierlichkeiten noch weitgehend im Lichte der friedlichen Revolution von 1989 feiern konnten, erschüttert der aktuelle Krieg in der Ukraine den Glauben daran, dass Krieg als Mittel der Politik wenigstens in Europa auf alle Zeit ausgedient habe, oder sagen wir besser: wir haben diesen Frieden nicht mehr selbstverständlich, sondern er verlangt unseren Einsatz. Davon spricht auch der Predigttext des heutigen Sonntags aus dem 5. Buch Mose. Er tut das, indem er eine Spannung aufbaut zwischen Zuversicht und Mahnung.

 

Da ist auf der einen Seite die Freude über den Reichtum und die Fülle, die das Volk im Gelobten Land nicht nur erhofft, sondern vorfindet – Erntedank pur. Hört nur: „Denn der Herr, dein Gott, führt dich in ein gutes Land, ein Land, darin Bäche und Quellen sind und Wasser in der Tiefe, die aus den Bergen und in den Auen fließen, 8 ein Land, darin Weizen, Gerste, Weinstöcke, Feigenbäume und Granatäpfel wachsen, ein Land, darin es Ölbäume und Honig gibt, 9 ein Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt, ein Land, in dessen Steinen Eisen ist, wo du Kupfererz aus den Bergen haust.“ Das klingt wie Europa in besten Vor-Corona-Zeiten: mit kostengünstiger Energie und dem Traum von unbegrenzten Wachstum.


Auf der anderen Seite stellt unser Text die bange Erinnerung an die Knechtschaft des Volkes Israel in Ägypten und an die mit harten 40 Jahre Wanderung durch die Wüste und die eindringlichen Mahnung, nicht zu vergessen: „Hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den Herrn, deinen Gott, vergisst, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft, 15 und dich geleitet hat durch die große und furchtbare Wüste, wo feurige Schlangen und Skorpione und lauter Dürre und kein Wasser war, und ließ dir Wasser aus dem harten Felsen hervorgehen 16 und speiste dich mit Manna in der Wüste.“

 

So verschränkt der Text die Freude über Errettung und Fülle eng dem Wissen um die Bedrohung nicht allein des Überlebens, sondern vor allem des guten Lebens. Darüber geht der Streit des Volkes mit Mose auf dem Weg durch die Wüste: Mose hat den Auftrag, sein Volk auf den Weg aus dem reinen Überleben in der ägyptischen Sklaverei zum guten Leben zu führen, in das gelobte Land. Aber das Volk stöhnt unter Beschwer des lebensbedrohlichen Gangs durch die Ödnis und wünscht sich in regelmäßigen Abständen zurück in die Vergangenheit: „Ach, wären wir doch bei den Fleischtöpfen Ägyptens geblieben.“ Dabei scheinen sie zu vergessen, dass sie diese Fleischtöpfe unter den Bedingungen der Sklaverei hatten. Und ich vermute sogar, dass die Fleischtöpfe auch nur in der Erinnerung Fleischtöpfe waren, denn wer Hunger, dem verklärt sich in der Erinnerung selbst ein trockenes Brot zum Festmahl. Da hält Mose dagegen: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Mose ist nicht bereit, der Gewalt des Pharaos nachzugeben. Eine Rückkehr in die Sklaverei um den Preis der Freiheit stellt keine Alternative dar; wenigstens nicht für ihn, der sich auf den Weg mit Gott macht, und sich die Entscheidung dazu alles andere als leicht gemacht hat.

 

Bevor Mose den Auftrag Gottes annimmt, ringt er mit seinem Gott, windet sich und findet immer wieder neue Gründe, warum er nicht der richtige für den Job sei. Mose ist kein Fanatiker, sondern nachdenklich, ein Stotterer, Grübler und Abwäger, der am Ende doch tut, was zu tun ist, um sein Volk in die Freiheit zu führen. Auch noch auf dem Wege würde er so manches Mal am liebsten alles hinschmeißen, und tut das auch; so wie beim ersten Mal, als er mit den Zehn Geboten vom Berg Sinai herabkommt. Da findet er sein Volk, wie es um das Goldene Kalb tanzt und ist fassungslos: „Wie kann das sein: Ich steige auf den Berg, stelle mich unter Bedrohung meines Lebens vor Gottes Angesicht und vor allem: ich erringe uns allen ein Gesetzeswerk, das Himmel, Erde, Gott und Mensch aneinanderbindet und die Menschlichkeit als erste Priorität setzt: die Achtung gerade auch der Schwächsten, der Witwen, Waisen und derer, die auf der Flucht sind. Und was ist der Dank? Ich finde meine Leute, wie sie sich selbst dem Mammon und seinen Versprechungen vom großen Geld für alle glauben an den Hals schmeißen, das wundersamerweise dann doch immer nur bei einigen Wegen hängen bleibt.“ Im Zorn über die Dummheit seiner Leute, die in ihrer Ungeduld den – so würden wir es heute nennen – Populisten auf den Leim gehen, zerschmettert Mose die Gesetzestafeln Gottes am Fuß des Berges. Das hilft ihm allerdings gar nichts, denn Gott lässt ihn nicht los.

 

Mose muss ein zweites Mal den beschwerlichen Weg auf den Berg gehen. Zur Strafe wird ihm am Ende von Gott verwehrt, mit dem Volk ins Gelobte Land einzuziehen. Er darf es nur von Ferne von der Höhe des Berges sehen, bevor er stirbt.

 

Der Streit aber, den Mose immer wieder neu mit seinem Volk führt, das ist ein Streit wie der um die Frage, ob Einigkeit, Recht und Freiheit, die wir dieses Wochenende zum 3. Oktober bedenken und feiern, ob wir so etwas wie Einigkeit, Recht und Freiheit sich als Basis für Frieden voneinander trennen lassen, oder ob wir das alles nur im als Paket haben können: ganz oder gar nicht? Letzteres ist die von Gott getriebene Position des Moses, mit gutem Grund: Einigkeit wird ohne Recht und Freiheit zum Zwang, Recht wir ohne Einigkeit und Freiheit zur Willkür, Freiheit wird ohne Einigkeit und Recht zum Kampf aller gegen alle. Selbstverständlich können wir individuell Glück haben, auf Seiten der Freien zu stehen, welche den Mangel an Recht und Einheit auf andere abschieben. Oder wir können unsere Einheit auf Kosten des Rechts und er Freiheit anderer durchsetzen, wenn wir die Macht dazu haben; oder wir können auf unser Recht pochen und damit die Einheit anderer und ihre Freiheit mit Füßen treten. Ein Frieden aber, der nicht auf Gemeinschaft von Einigkeit, Recht und Freiheit für alle baut, ist kein wahrer Frieden und hat deshalb auch keinen Bestand, sondern droht, immer wieder in Krieg umzuschlagen.

 

Wenn wir uns dem nicht ergeben wollen, brauchen wir Mut, im Zweifel die Wüstenwanderung als Möglichkeit wahrhaftigen Lebens auf uns zu nehmen; mehr noch, manchmal sogar den Kampf darum, sich überhaupt erst auf diesen beschwerlichen Weg in die Freiheit machen zu dürfen. Erinnert Euch an die Debatten zwischen Mose und dem Pharao, der seine Sklaven nicht gehen lassen will. Auf die Verstockung des Pharaos, der sich keines Arguments zugänglich erweist, belegt Gott den Diktator mit Sanktionen. Das sind die berühmten 10 Plagen: Der Nil wird zu Blut, es regnet Frösche vom Himmel, die das Land verstopfen, sterben und stinkend verfaulen, es folgen Stechmückenplage, Viehseuche, Starkregen mit Überschwemmungen, eine Heuschreckeninvasion, welche die Ernte vernichtet, und eine Finsternis im ganzen Land. Erst als es den Kindern des Pharaos an den Kragen geht, und Todesengel sie holen, gibt der Despot seinen Widerstand auf. Er lässt das Volk ziehen; aber wie das bei Despoten so ist: kaum ist die Bedrohung aus den Augen, sind die Vereinbarungen aus dem Sinn. Und so schickt er den Flüchtenden seine Armee auf den Hals. Als das Verfolgerheer die Flüchtenden am Roten Meer erreicht, triumphieren sie bereits: „Jetzt sitz Ihr in der Falle!“ Aber wie durch ein Wunder öffnet Gott die Wasser des Meeres wie ein Tor. Das hoffnungslos unterlegene Volk entkommt, das hochgerüstete Heer versinkt in den Fluten, die sich über ihm schließen.

 

Unsere Gegenwart kennt diese Diskussionen: ob wir gegenalten wollen und sollen oder lieber nachlassen und über den Sinn und Unsinn, Weite und Grenzen von Solidarität, Kampf und Opferbereitschaft. Wir kennen die Mahnung, uns zu erinnern und dem Vergessen zu wehren, und am Tag der Deutschen Einheit ist das vor allem die Erinnerung daran, dass wir das Dreigestirn aus Einigkeit, Recht und Freiheit zusammenhalten als Basis für den Frieden bei uns, in Europa und der Welt, und dass wir uns dabei in Dankbarkeit und Demut zu üben: „17 Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen. 18 Sondern gedenke an den Herrn, deinen Gott; denn er ist’s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen.“ Diese Worte sind uns nicht gesagt, um uns klein zu machen, sondern im Gegenteil dazu, um uns Mut zu machen und aufzurichten zu unseren vollen Menschlichkeit als Gotteskinder und Erdenbürger auf diesem blauen Planeten; auf diesem blauen Planeten, der uns anvertraut ist, dass wir ihn genießen und von seinen Früchten leben und diesen auch Genuss auch feiern, so wie zu an diesem Sonntag Erntedank, aber auch im Alltag, indem wir unser Leben fröhlich und mutig und dankbar einbetten in Verantwortung füreinander und für und mit denen, die nach uns kommen – für und mit Dir, Madeleine, und Deinen Altersgenossen in der ganzen Welt, und auch für und mit den Kindern, die Ihr wohlmöglich einst zur Taufe tragt.

 

Das ist das Ziel: dass wir uns und Euch einen Planeten erhalten und überlassen, auf dem wir nicht nur überleben, sondern gut leben, auf dem Stadt und Grün zueinander finden und sauberes Wasser für alle nicht Ausnahme, sondern die Regel ist, und auf dem Streit nicht Krieg bedeutet, sondern ernsthafte Auseinandersetzung über das, was zu tun ist auf unserem gemeinsamen Weg ins Gelobte Land, also auf dem Weg zu einer Welt, in der wir mit Gottes Hilfe und seinem Segen lebendigen Frieden finden und stiften: miteinander, mit der belebten und der unbelebten Natur – Frieden mit Gott.

 

Dafür hat Gott uns „nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit!“ (2. Tim. 1,19).

 

Dafür feiern wir das Fest der Taufe, welches uns im Lichte des offenen Himmels mit der Anmut und Lebendigkeit der Kinder bezaubert und die Erinnerung an unsere eigene Taufe weckt.

 

Und dafür feiern wir an diesem Sonntag das Fest von Erntedank, in dem Gott unsere Erinnerung an das Wunder der Schöpfung weckt und uns darüber staunen und freuen lässt, dass wir im Leben und Sterben Teil dieses Wunders sind.

 

Friede sei mit Euch. Amen.

 


Download Predigt (PDF)

 

 

Die Hauptkirche St. Katharinen ist ein Ort der Ruhe inmitten einer lauten Stadt.
Besucherinformationen